Abschied Sommer Herbst

Abschied: Aus, Schluss, Vorbei.

Es sind untrügliche Zeichen. Du kannst dich an der Isar unter diese Energiesparlampe von einer Sonne legen, du kannst mit einem Capri-Eis in der Hand durch die Straßen laufen und dir die Beine volltropfen lassen und dein Feierabendbier oder Freizeitspezi noch auf dem Balkon zischen, aber du kannst sie nicht ignorieren, diese verdammten Blätter. Sie wehen durch die Stadt wie zitternde Mahnmale. München riecht bald nicht nur wiesnbedingt nach Schweiß, Erbrochenem und gebrannten Mandeln, sondern auch nach Veränderung. Ein weiterer Sommer geht zu Ende.

 

Warum ich Enden beschissen finde (Und wieso sie trotzdem wichtig sind)

 

Eins vorweg: Ich hasse Enden. Ich mutiere zum Kind (das ja eh relativ dicht unter der Oberfläche wohnt), wenn Enden bevorstehen und Abschiede nahen und sträube mich prinzipiell erstmal gegen jegliche Art von Veränderung. Vorstandsfuzzis und andere Anzugträger verkünden bei Rücktrittserklärungen ja gerne, es sei „ein Abschied mit Wehmut“. Aber bei mir regt sich da etwas viel Instinktiveres, Unkontrollierteres: Protest. Abschlussfeiern bedeuten für optimismusbegabte Menschen vielleicht einen Neuanfang, dem sie mit offenen Armen, voll Neugier und ohne Gepäck entgegen sehen. Ich kann sowas nicht. Ich hasse, wenn etwas aufhört und finde Abschiede grundsätzlich scheiße.

Aber: meistens impliziert ein Abschied ja tatsächlich den Beginn von etwas Neuem: die beschlossene Schulzeit ist gleichzeitig Start in sechs Semester Freiheit oder andere Abenteuer, ein Auszug aus Berlin bedeutet vielleicht Kistenauspacken in Barcelona, das Ende des Sommers den Herbst. Hätte man sich zu Endzeiten des Barock gegen Veränderung gewehrt, hätte es Epochen wie die Romantik nie gegeben und wir würden jetzt immer noch in Reifröcken und kratzigen Halskrausen rumlaufen und Sätze wie „Memento mori“ und „Carpe diem“ predigen (Okay, daran hat sich vielleicht gar nicht mal so viel geändert. Yolo).

 

Es war eine fucking Ära, denkt man nach zwei Wochen

 

Mit wichtigen Episoden im Leben ist es letztlich wahrscheinlich wie mit guten Geschichten: richtig rund werden sie erst, wenn sie auch einen Schluss haben. Dafür muss man dann aber auch den Mumm haben, einen Schlussstrich zu ziehen, fett und am besten mit wasserfestem Edding. Meistens fällt einem ja erst dann auf, was man eigentlich zurücklässt. Ach, es war schon eine schöne Zeit, denkt man da ein paar Tage später. Es war eine fucking Ära, die da zu Ende gegangen ist, denkt man nach zwei Wochen. Das nachträgliche Verklären setzt ein, zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk. Aber wichtig ist doch, dass man es überhaupt einmal merkt. Wie gut es eigentlich war.

Und so schwer Abschied nehmen auch ist: wäre es nicht viel trauriger, wenn er ganz leicht fällt – weil man nichts zurücklässt, das einem fehlen wird? Wir sind heutzutage dauernd unterwegs und in der ganzen Welt zuhause. Das heißt aber nicht nur, dass wir Freunde auf dem ganzen Erdball verteilt haben, sondern auch, dass wir ständig Abschied nehmen müssen. Eigentlich sollten wir Weltmeister darin sein. Aber weil wir nie ganz bis zum Ende gehen, und immer so ein bisschen komatösen Kontakt halten, whatsapp für die Belanglosigkeiten, Facebook für die abfotografierten Alltagsmomente, Skype für die Gesichtsspurensicherung, wird auch jede Trennung nur zum Abschied auf Zeit. Und so ist das in allen Bereichen inerhalb unseres Kontrollfeldes: wir halten den Endpunkt fest in der Hand, wir ziehen ihn mit uns mit und entscheiden, wann wir ihn setzen oder ob überhaupt. Wir wollen doch gar nicht, dass irgendwas aufhört!

 

…und Enden sind doch scheiße.

 

Und das ist wohl der Punkt: so richtig ätzend wird es doch erst, wenn man das Ende nicht bewusst bestimmen kann. Wenn man nicht sagt, so Freunde, jetzt ist Schluss, ich gehe, sondern nur zugucken kann, wie um einen rum plötzlich alles auseinanderfällt. Wenn man jede Woche jemand anderen zum Flughafen bringt und selber nichts hat, womit man diese Lücken füllen kann. Dann bringt einem dieses ganze gesunde Loslassen, das sich eh immer anhört wie so ein Heilpraktikermythos aus dem Entschlackungsratgeber auch nichts mehr.

Hoppla, gerade noch die Kurve gekriegt, ich dachte kurzzeitig, ich hätte mich gewandelt und könnte Enden plötzlich doch noch etwas Gutes abgewinnen. Aber das wäre natürlich sehr untypisch gewesen – ich hasse Veränderung.

 

Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!
Bildquellen: Titelbild: Romain Toornier  (1) Porsche Brosseau, (2) woodleywonderworks, (3) 55Laney69 , (4) Sam Catanzaro, alle unter cc by 2.0