Nachhaltigkeit Karma Konto

Nachhaltigkeit: Mehr Punkte für’s Karma-Konto?

Ich wache davon auf, dass Harrods seine Rollläden geräuschvoll nach oben schnallen lässt. Harrods ist nicht mein neuer Lover. Auch nicht mein neu eingestellter Butler mit Weckdienst, sondern das uralte Luxuskaufhaus aus London. In diesem Fall: am Londoner Flughafen. Hier auf der Wartebank, auf der ich zusammengerollt meine Nacht (naja, zwei Stunden) verbracht habe, wird mir klar, wie die Konsumwelt aussieht, in der wir leben. Um vier Uhr morgens lächeln perfekt geschminkte Verkäuferinnen hinter den glänzenden Michael Kors Taschen hervor, während angenehme Non-Chalant-Musik vor sich hindudelt, als wäre das alles ganz selbstverständlich. Euer Ernst!? Ich wanke schlaftrunken und noch nicht ganz an diesem Nicht-ort angekommen, durch die perfekt ausgerichteten Regale, die meinen Weg zum Security-Check lenken. Und alles schreit: kaufen, kaufen, kaufen!

 

Unser Konsum im Wandel

 

Das gute alte Kaufhaus, das sich dank Studien unseres Konsumverhaltens, verändert und optimiert hat, ist aber längst nicht mehr unsere einzige Bezugsquelle von nützlichen Überflüssigkeiten. „Die digitale Evolution hat unsere Reisegewohnheiten durch die Einkaufswelt verändert. Die Reisen sind vor allem komplexer geworden. Der Wechsel zwischen den Informationskanälen ist stark ausgeprägt“, schreibt Jakob Vicari für das Wirtschaftsmagazin Brandeins. Wir kaufen online und offline, vintage und nagelneu, selbst designt und Massenware, verpackungslos und eingetütet, regional und weltweit, express und gut bedacht. Für jeden ist was dabei, greifen Sie zu, ein unschlagbares Angebot! Aber während die kreischenden Teenie-Horden immer noch zu dem Sex-Sells-Spezialisten Hollister und dem Billiglohn Experten Primark rennen, scheint sich der nicht mehr ganz so neue Trend der Nachhaltigkeit bei vielen Kaufwütigen durchzusetzen.

 

Bio ist nicht gleich gesund ist nicht gleich fair

 

„Nachhaltiger Konsum ist ein einfacher und alltäglicher Hebel, mit dem eigenen Tun einen positiven Beitrag zu leisten, oder zumindest schon mal keinen negativen Fußabdruck zu hinterlassen.“, erklärt uns Jakob Berndt von Lemonaid, der fairen Biolimoade. „Die Neuen Medien ermöglichen eine neue Transparenz von Nachhaltigkeit. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat gesagt: „Die Welt hat eine Dichte erlangt, in der die Tat unmittelbar zum Täter zurückkommt“. Es ist nachvollziehbarer geworden, was woher kommt und die Leute setzen sich deshalb mehr damit auseinander.“ Phänomene wie der große Erfolg des Fundraising für den verpackungsfreien Supermarkt, oder sie Second-Hand-Liebe auf diversen (Nacht-)flohmärkten zeigt, wie wichtig uns der Öko-Konsum vor allem nach außen hin ist. „Marktforscher wissen ziemlich genau, wer weshalb bio kauft, wo und wann. Beim Beantworten der Fragen achten die Konsumenten sicherlich – wenngleich vielleicht unbewusst – auch darauf, wie sie selbst wirken“, so Claudia Wüstenhagen für Zeit Online. Aber „bio“ ist nicht gleich gesund ist nicht gleich fair. Warum diese drei Kategorien sich trotzdem oft überlappen erklärt sie mit dem Halo Effekt: „Haben Produkte erst einmal ein gutes Image, hält man sie in allen möglichen Belangen für überlegen. Sie tragen eine Art Heiligenschein“.

 

Fair Trade als erster Schritt

 

Uns ist Fairness wichtig. Ethik auch. Und wenn wir darin eine Steigerung unserer Lebensqualität sehen, ist das grundsätzlich vielleicht gar nicht mal so falsch. „Als Verbraucher will man aber nicht darüber nachdenken müssen, sondern erwartet, dass das Unternehmen einem mit einem entsprechenden Angebot die Verantwortung abnimmt“, sagt Hamburger Trendforscher Peter Wippermann dem Brandeins Magazin. Dabei sollte die Verantwortung bei dem Kauf von nachhaltigen Produkten eigentlich erst anfangen. „Ich glaube es ist total richtig wissen zu wollen, wo die Sachen herkommen, die ich kaufe. Aber man muss sicherlich damit aufpassen, dass der gesellschaftliche Beitrag damit noch nicht getan ist. Soziales Engagement darf nicht bei dem Gang durch den Supermarkt aufhören. Das Karma-Konto ist noch nicht voll aufgeladen, nur weil ich mir Fair-Trade-Jeans kaufe, aber es ist ein wichtiger erster Schritt“, so Jakob Berndt. Es sollte Denkanstoß und Wertewandel sein, den wir auf andere Lebensbereiche ausweiten. Es ist wichtig, Fragen zu stellen und nicht alles so hinzunehmen, wie es ist. Da ist es sicherlich gut, bei unserem Konsumverhalten zu beginnen. Aber es ist eben nur ein Anfang.

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Bildquelle: Garry Knight über CC BY-SA 2.0