Silvester Terrorwarnungen München Reaktion

Wie sollen wir auf Terrorwarnungen reagieren?

Von Jan Karon

„Wir haben konkrete Hinweise, die wir nicht unter den Teppich kehren können“. Mit diesen Worten begründete die Münchener Polizei kurz nach 23:00 Uhr am Silvesterabend ihre Terrorwarnung. Die konkrete Verhaltensanweisung: größere Menschenansammlungen, den Hauptbahnhof sowie den Bahnhof Pasing meiden. Beide Bahnhöfe wurden daraufhin geräumt und abgesperrt. Laut geheimdienstlichen Informationen lagen konkrete Hinweise vor, nach denen fünf bis sieben Männer Anschläge an den Bahnhöfen planten.

 

Wie soll man auf solche Terrorwarnungen reagieren? Wie privat? Wie politisch?

 

Kann man feuchtfröhlich feiern und Raketen in die Luft schießen, während unweit Stadtteile realer Gefahr wegen evakuiert werden? Für gewöhnlich betrinken wir Deutsche uns an Silvester, gießen die Zukunft in Blei und geben sündhaft viel Geld für Raketen aus. Dieses Mal aber schien es ein wenig deplatziert, heiter und hemmungslos zu feiern, während woanders Menschenleben auf dem Spiel stehen.

Dabei war man schon an Weihnachten mit einem ähnlichen moralischen Dilemma konfrontiert: Im Überfluss zu baden, das fühlte sich falsch an, wenn es zeitgleich den nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen am Nötigsten mangelt. Die Globalisierung und in Folge davon die Gleichzeitigkeit von Phänomenen machen eine Abschottung von der Welt da draußen unmöglich. München war vor der eigenen Haustür.

 

Immer mit dabei

 

Die Folgen dieser Nahbarkeit sind vielfältig: Flüchtlinge, die mit Hilfe ihrer Smartphones realisieren, dass da drüben, im Westen, ein besseres Leben möglich ist, sind ebenso Auswirkung davon wie Videoschaltungen via Periscope oder Eilmeldung über Ausnahmesituationen. Potentieller Terror reißt uns aus dem Alltag, gerade wenn er zum selben Zeitpunkt passiert wie Fußball-Länderspielen oder Silvesterfeiern. Die Newsticker versorgen uns dann mit Live-Updates. Auf Twitter werden Entwicklungen geteilt.

Daraus folgt: Ein Rückzug ins Private wird unmöglich. Jedem wird Öffentlichkeit zu teil, und diese selbst entwickelt eine Eigendynamik. Wenn Terrorwarnungen in München live mitverfolgt werden können, beeinflusst das Menschen. Das Publike wird zu einer Sphäre, die jeder mitverfolgen und mit der jeder interagieren kann, die aber auch auf einen selbst Einfluss ausübt.

 

Offene Fragen

 

Nach und nach kamen Hintergründe über die Anschläge ans Licht: So sollen laut SWR und BR am Vorweihnachtstag konkrete Terrorwarnungen bei Behörden in Baden-Württemberg eingegangen sein. Am Silvestertag waren es Warnungen von französischen Geheimdiensten, die dem Vorgehen der Münchener Polizei zu Grunde lagen.

Nicht nur in München, aber auch in Hannover – vor dem Länderspiel zwischen Deutschland und Holland – entschieden Polizeibehörden auf Grund von Informationen französischer Geheimdienste das Spiel nicht stattfinden zu lassen. Details gerieten damals nicht an die Öffentlichkeit, Innenminister Thomas de Maizière verwies darauf, dass die Bekanntgabe solcher Informationen die Bevölkerung verunsichern würde.

Dass Informationen von Geheimdiensten wiederum nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, hat einen guten Grund. Die Bekanntgabe solcher Hinweise würde eine Offenlegung von innen- und sicherheitspolitischen Strategien gleichkommen. Behörden haben zu viel zu verlieren und Transparenzeingeständnisse können dies nicht aufwiegen. Die Äußerung de Maizières ist natürlich trotzdem ein Eigentor, weil er damit neue Fragen aufwirft, ohne welche zu beantworten.

 

Es gibt keine Kollektivtrauer

 

In der Diskussion um den Umgang mit Terror im Alltag sind einige Floskeln wiedergekaut worden: Man dürfe sich vom Terror nicht einschüchtern lassen (Martin Schulz), sich nicht ins Schneckenhaus verkriechen (Josef Schuster), sogar von dem Terror trotzen war die Rede.

Die Reaktionen auf Charlie Hebdo, auf die Anschläge vom 13. November sowie auf die Terrorwarnungen in Deutschland lassen darauf schließen, dass dies nicht der Fall sein wird und Menschen in ihrer Alltagsgestaltung unbeirrbar bleiben. Die Art und Weise, wie Mitgefühl geäußert wird, sollte jedoch jedem selbst überlassen sein: Ob derjenige am Place de la République Blumen niederlegen möchte oder sein Profilbild ändern, ist nichts, was einen anzugehen hat.

Geht es um angemessene Reaktion, wäre es ein guter Anfang, nicht zu polemisieren. Zum Beispiel wie Lutz Bachmann, der auf twitter Terrorwarnungen in München auf dem Rücken von Flüchtlingen ausschlachtete. Ein Bewusstsein für das Vorhandensein von Terror und Angst wären eine gute Grundvoraussetzung, nicht nur in der westlichen Welt und München übrigens. Mit diesen zwei Punkten wäre schon vielem geholfen. An Silvester wurde dann auf der WG-Party übrigens weitergefeiert. Draußen war es ohnehin arschkalt.

 

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Bildquelle:  Rosa majalis unter CC by 2.0