Phänomen Bullshit Jobs: Ist ein Job scheiße, wenn er uns nicht erfüllt, oder wenn er der Menschheit und Gesellschaft nicht nutzt?

Hast du einen „Bullshit Job“?

Diejenigen unter uns, die nicht Justus heißen, BWL studieren und schon von Geburt an zum Tragen einer Canada Goose-Jacke gesegnet beziehungsweise verpflichtet sind, haben mit hoher Wahrscheinlichkeit schon den ein oder anderen Scheißjob hinter sich oder stecken mit noch höherer Wahrscheinlichkeit gerade mittendrin. Denn nicht nur Hamburg, Berlin und München sind teure Pflaster, auch in kleineren Städten bezahlen sich Miete, S-Bahn und Feierabendbier nicht von alleine. Also stellen wir uns neben Ausbildung oder Studium regelmäßig hinter Bars, Tresen und Kaffeemaschinen, setzen uns an Kassen- und Fließbänder, bespaßen hysterische Kinder und faule Schüler oder machen uns in Krawatte und Blasen prophezeienden Lederschuhen bei Großveranstaltungen auf die Jagd nach leeren Tellern. Für 8,50€ in der Stunde und die dringend empfohlene Berufserfahrung im Lebenslauf; während wir hoffen, später nicht auf ewig in einem dieser Bullshit-Jobs zu landen.

 

Was bitte ist überhaupt ein Bullshit-Job?

 

Der Begriff „Bullshit Jobs“ wurde vor drei Jahren von David Graeber, einem der Vordenker der „Occupy Wall Street“-Bewegung geprägt und sorgt dafür, dass wir unsere optimistische Haltung unserer beruflichen Zukunft gegenüber vielleicht nochmal überdenken. Die Bullshit-Jobs sind anscheinend nicht nur auf dem studentischen Nebenjobmarkt in Hülle und Fülle vorhanden, sondern vor allem im Dienstleistungssektor, der auch in Deutschland der größte und am schnellsten wachsende Wirtschaftssektor ist – drei von vier Erwerbstätigen sind Dienstleister. Laut Graeber führt die Technisierung nicht etwa dazu, dass – wie Anfang des 20. Jahrhunderts noch geglaubt wurde – die menschliche Arbeitszeit reduziert wird. Stattdessen würde durch den technologischen Fortschritt eher noch nach Wegen gesucht, uns alle mehr arbeiten zu lassen.

„Um das zu erreichen, mussten Jobs erschaffen werden, die im Grunde sinnlos sind“, sagt der Anthropologe in seinem Essay im Magazin Strike!. „Riesige Schwaden von Leuten, besonders in Europa und Nordamerika, verbringen ihr gesamtes Arbeitsleben mit Aufgaben, von denen sie insgeheim glauben, dass sie nicht wirklich verrichtet werden müssen. Der moralische und geistige Schaden, der aus dieser Situation entsteht, ist tiefgreifend“. Zu diesen „Bullshit-Jobs“ führt laut Graeber vor allem das künstliche Aufblähen des administrativen Sektors, das soweit geht, dass ganze Industrien neu erschaffen werden, wie beispielsweise Telemarketing, oder die beispiellose Erweiterung von Branchen wie Personalabteilungen, Gesellschaftsrecht oder Public Relations.

„Das sind Tätigkeiten, die ich als ‚Bullshit-Jobs‘ bezeichne“. Dazu kommen die Jobs, die es nur gibt, weil wir alle so beschäftigt damit sind, zu arbeiten. Oder einfach nur wahnsinnig faul. Anders lassen sich Jobs wie der des „Pet waste technician“ nicht erklären: Der hat nämlich das Vergnügen, bei einem „Pooper Scooper Service“ zu arbeiten. Also bei Firmen, die Hundehaufen in den Gärten von Menschen einsammeln und bei Bedarf auch mit Duftstoffen behandeln, damit unangenehme Gerüche durch das Haustier der Vergangenheit angehören. Gibt es bislang zwar leider nur in Amerika, aber bestimmt kann man sich bald auch in Deutschland zum Fachmann für Hundeabfälle ausbilden lassen. „Es ist, als wäre da draußen jemand, der sinnlose Jobs erfindet, nur um uns alle am Arbeiten zu halten“, sagt Graeber.

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Ist ein Job nur dann erfüllend, wenn er einen Sinn für die Allgemeinheit darstellt?

 

 

„How can one even begin to speak of dignity in labour when one secretly feels one’s job should not exist?“, fragt Graeber in seinem Essay. Ist jetzt automatisch jeder Beruf, der keinen größeren Sinn für die Allgemeinheit darstellt, ein Bullshit-Job? Und wer legt eigentlich fest, was einen Sinn für die Allgemeinheit darstellt? Vielleicht ist der Hundehaufen-Einsammler der zufriedenste Mensch der Welt und wer sind wir, darüber zu urteilen, ob sein Job scheiße ist (auch wenn er natürlich im buchstäblichen Sinne scheiße ist)? Trotzdem: Der Großteil der Menschen wertet nun mal. Und in unserem Ranking würde ein Job in der Gastronomie oder im Einzelhandel, ganz zu schweigen von einem Job in der Hundehaufen-Branche, immer weiter unten landen als ein Job als Finanzberater oder Firmenanwalt.

„Tatsächlich bin ich nicht sicher, ob ich jemals einen Firmenanwalt getroffen habe, der nicht gedacht hat, dass sein Job Bullshit ist. Dasselbe gilt für fast alle dieser neuen Industrien […]. Gib ihnen ein paar Drinks und sie werden zu Tiraden darüber ansetzen, wie sinnlos und dumm ihr Job wirklich ist“, schreibt David Graeber. Laut einer Umfrage von YouGov sind 35 Prozent der Deutschen der Überzeugung, mit ihrem Job keinen sinnvollen Beitrag für die Welt zu leisten und haben folglich nach Graeber einen Bullshit-Job. Wie soll man aber unterscheiden zwischen einem Bullshit-Job und einem, der einem schlicht und ergreifend keinen Spaß macht?

„Ein objektiver Maßstab ist schwer festzulegen, aber ein einfacher Weg, um ein Gefühl zu bekommen, ist zu fragen: Was würde passieren, wenn diese gesamte Klasse von Menschen einfach verschwinden würde? Sagen Sie, was sie wollen über Krankenschwestern, Müllmänner oder Mechaniker, es ist offensichtlich, dass die Ergebnisse unmittelbar und katastrophal wären, würden sie in einer Rauchwolke verschwinden. Eine Welt ohne Lehrer oder Hafenarbeiter würde bald in Schwierigkeiten geraten und auch eine Welt ohne Science-Fiction-Autoren oder Ska-Musikern wäre eindeutig ein unbedeutenderer Platz. Es ist nicht ganz klar, wie die Menschheit leiden würde, wenn alle […] CEOs, Lobbyisten, PR-Forscher, Versicherungsstatistiker, Telefonverkäufer, Gerichtsvollzieher oder Rechtsberater gleichermaßen verschwinden würden“.

Natürlich kann man von dieser anarchistisch anmutenden Aussage Graebers halten, was man möchte – er hat jedoch vollkommen recht, wenn er sagt, dass ein gut bezahlter Job nicht gleichzeitig für dessen Sinnhaftigkeit steht. Trotzdem kann man natürlich auch mit einem Beruf zufrieden sein, der laut David Graeber ein Bullshit-Job ist. Wenn jemand, der PR macht oder CEO ist, mit seinem Beruf zufrieden ist, ist doch alles paletti. Und auch wenn man als Kellner nichts gegen den Welthunger unternimmt und als Verkäufer Kinderarbeit und Hungerlöhne nicht unterbindet, macht man die Menschen in unserer Konsumgesellschaft doch zumindest für ein paar Stunden glücklich.

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Müssen wir uns mit Bullshit-Jobs abfinden?

 

Ist die Diskussion über Bullshit Jobs nun eigentlich berechtigt oder jammern wir einfach nur auf hohem Niveau? Sollten wir nicht eigentlich zufrieden sein mit der riesigen Auswahl an Berufen, die uns präsentiert wird oder sollten wir Graeber glauben, wenn er sagt, dass uns eine Karriere als PR-Berater oder Firmenanwalt höchstwahrscheinlich unglücklich machen wird? Vielleicht spricht auch nur die verwöhnte Generation-Y-Stimme aus uns, die auf Work-Life-Balance beharrt und uns vorbetet, niemals einen Job anzunehmen, der uns nicht vollkommen erfüllt. Wie auch immer man dazu stehen mag, am Ende gilt wohl wie so oft: Jeder wie er’s mag. Eine Arbeit ist dann ein Bullshit-Job, wenn du ihn als Bullshit empfindest.

Eines können wir von David Graebers radikalen Ansichten zumindest für uns mitnehmen: Wenn du findest, dass dein Job gar nicht erst existieren sollte, dann mach ihn nicht!

 

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Bildquelle: Marie-Sophie Tékian unter CC0-Lizenz