Die Digitalisierung beeinflusst unsere Intelligenz
Der Intelligenzforscher Jakob Pietschnig von der Universität Wien äußerte sich in einem Interview mit der Zeitung „Der Standard“ zu den Auswirkungen der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz (KI) auf unsere kognitiven Fähigkeiten und unsere Intelligenz. Pietschnig betonte, dass die Menschheit weiterhin Potenzial zur Intelligenzentwicklung habe. Frühe Intelligenztests könnten Schwächen und Begabungen bei Kindern erkennen, müssten jedoch sorgfältig und kulturell angemessen durchgeführt werden.
Pietschnig erklärte, dass viele im Internet verfügbare Intelligenztests unseriös seien. Nur Tests, die wissenschaftlichen Standards entsprächen und mit einer geeigneten Referenzpopulation durchgeführt würden, hätten tatsächliche Aussagekraft. Intelligenztests sollten nicht dazu genutzt werden, Menschen in Kategorien wie „gut“ oder „schlecht“ einzuteilen, sondern als Werkzeuge zur individuellen Förderung dienen. Pietschnig betonte, dass Intelligenztests objektive Methoden zur Erfassung kognitiver Fähigkeiten seien und nicht die Gesamtheit einer Person abbilden könnten.
Der Flynn-Effekt und moderne Anforderungen
Der Flynn-Effekt, eine beobachtete Zunahme der gemessenen Intelligenz im 20. Jahrhundert, sei laut Pietschnig inzwischen inkonsistent. Er führte dies auf die zunehmende Spezialisierung und die veränderten Anforderungen in der modernen Gesellschaft zurück. Die Menge des Wissens habe zugenommen, und es bedürfe nun mehr Anstrengung, um in einem Bereich Experte zu werden. Pietschnig erklärte, dass die Digitalisierung einige kognitive Aufgaben erleichtere, wodurch Menschen sich stärker auf spezialisierte Fähigkeiten konzentrieren könnten. Diese Veränderungen könnten jedoch dazu führen, dass allgemeine Intelligenztests weniger geeignet seien, die tatsächlichen Fähigkeiten eines Menschen zu messen.
In der Praxis werden Intelligenztests von vielen Unternehmen eingesetzt, um die Fähigkeiten ihrer Bewerber zu bewerten. Pietschnig meinte, dass solche Tests sinnvoll seien, wenn sie nach aktuellen Standards durchgeführt würden. Sie könnten helfen, die passende Person für eine Stelle zu finden, was sowohl den Unternehmen als auch den Bewerbern zugutekomme.
Intelligenztests in Schulen und Unternehmen
Auch in Schulen könnten Intelligenztests von Nutzen sein, um frühzeitig Schwächen und Stärken der Schüler zu erkennen. Pietschnig betonte, dass die Kindheit die einzige Zeit im Leben sei, in der man mit der Intelligenz noch bedeutende Veränderungen erzielen könne. Durch gezielte Förderung könnten Kinder besser unterstützt werden.
Pietschnig äußerte sich ebenfalls zur Künstlichen Intelligenz (KI) und deren Einfluss auf die menschliche Intelligenz. Er sagte, dass die Digitalisierung und KI die Anforderungen an unsere kognitiven Fähigkeiten verändern würden, uns aber nicht dümmer machten. Es sei wichtig zu wissen, wie man Fragen formulieren müsse, um effektiv mit einer KI zu kommunizieren.
Genmanipulation und ihre Risiken
Vor den Gefahren der Genmanipulation warnte Pietschnig eindringlich. Technologien, die Embryos nach ihrer potenziellen Intelligenz aussortieren könnten, bezeichnete er als „Missbrauch der Technologie“. Die Vorhersagekraft genetischer Merkmale für die Intelligenz sei derzeit sehr begrenzt, und Umweltbedingungen hätten einen großen Einfluss auf die Intelligenzentwicklung.
Ein weiteres Thema, das Pietschnig ansprach, war die Hochbegabung und die damit verbundenen Vorurteile. Er erklärte, dass Studien gezeigt hätten, dass besonders intelligente Menschen im Durchschnitt nicht nur beruflich erfolgreicher und gesünder seien, sondern auch sozial erfolgreicher. Das Vorurteil, dass hochbegabte Menschen sozial weniger bewandert seien, sei empirisch nicht belegbar.
Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Herausforderungen und Chancen, die die Digitalisierung und die moderne Gesellschaft mit sich bringen. Es bleibt abzuwarten, wie sich unsere kognitiven Fähigkeiten weiterentwickeln und wie wir diese Veränderungen sinnvoll nutzen können.
Gleich weiterlesen:
- TikTok-Trend „Sephora-Kids“: Wenn Kinder Kosmetik-Influencer*innen werden
- Intravenöse Infusionen: Gesundheit-Boost oder gefährlicher Trend?
- Demokratie vor Reichtum: Marlene Engelhorn verschenkt 90 Prozent ihres Erbes
Folge ZEITjUNG auf Facebook, TikTok und Instagram!
Bild: Vecteezy; CC0-Lizenz