
Blaue Flecken gehören dazu – Warum uns Scheitern weiter bringt
Mit klammen Händen nehme ich am Ende der 10. Klasse die alles entscheidende Lateinschulaufgabe entgegen. Ich habe gebüffelt, versucht das Ruder rumzureißen und werfe einen hastigen Blick auf den Papierbogen. Da steht sie, oben rechts im Eck, die alles verändernde rote 5. Das war’s. Game Over. Sitzengeblieben. Ich tu‘ natürlich saucool, weil Niederlagen eh schon scheiße sind, auch ohne das Mitleid oder die Vorwürfe von anderen.
So ein dicker Patzer liegt schwer im Magen und die Enttäuschung über das eigene Unvermögen stößt uns sauer auf. Dabei gehören Fehltritte zum Leben wie Ketchup zu Pommes. Und trotzdem will sie niemand machen, die Fehler. Die kleinen nicht und die großen, die verdächtig nach Scheitern riechen, schon gleich gar nicht.
Sieht ja auch nicht sonderlich gut aus, wenn man immer noch nicht gecheckt hat, wie es richtig geht. Nur woher soll man wissen, was genau dieses Richtig ist, wenn man nichts ausprobiert? Auch auf die Gefahr hin, damit erst mal gehörig auf die Schnauze zu fliegen? Wir verkennen die Chance hinter dem Faupax, dem Fehltritt und dem Missgeschick. Manchmal müssen wir einfach scheitern, um weiterzukommen.
Die große Angst vor dem nächsten Fehler
In der Theorie ist eigentlich alles klar: „Keiner ist unfehlbar“ und „Aus Fehlern lernt man.“ So weit, so fehlerfrei. In der Praxis sieht das leider ganz schön anders aus. Von klein auf haben wir gelernt, Fehler als Schwächen zu sehen, die unser Unvermögen beweisen und negative Konsequenzen nach sich ziehen. Also bloß keinen Fehler riskieren, damit der zielstrebige Lebenslauf nicht verhunzt wird. Gehe keine Umwege, begib dich direkt zum Ziel, gehe nicht über Los, ziehe dir keine blauen Flecken zu.
Der imaginäre erhobene Zeigefinger schwebt vor unserem geistigen Auge, gepaart mit der fiesen Angst, sich für das Falsche zu entscheiden. Soll man das Studium jetzt hinschmeißen oder doch zu Ende bringen? Diesen oder einen anderen Job machen, die Stadt wechseln? Schluss machen oder weiter lieben?
Und ja, manche Entscheidungen waren Mist, oder zumindest faule Kompromisse und manche Fehler lassen sich nicht mehr so leicht ausbügeln. Und klar, mit negativen Konsequenzen leben nervt und ein unnötiger Super-Kater ist dann das geringste Problem. Die Enttäuschung und die Wut nach einer Niederlage ist zwar nachvollziehbar, bringt uns aber keinen Schritt weiter.
Fehler machen als Prinzip
Thomas Edison, der Erfinder der Glühbirne, hat das Scheitern zum Prinzip erklärt. Nach dem 1000sten missglückten Versuch, eine Glühbirne zu entwickeln, soll ein Mitarbeiter gesagt haben: „Wir sind gescheitert.“ Darauf hat Edison geantwortet: „Wir sind nicht gescheitert, wir kennen jetzt 1000 Wege, wie man keine Glühbirne baut.“ Wie beschwingt man durch das Leben gehen könnte, wenn man sich zu Herzen nimmt, was in der Wissenschaft selbstverständlich ist.
Ohne Fehlversuche gibt es keinen Fortschritt, denn das Neue ist immer ungewohnt und ungewöhnlich. Lassen wir die Panik vor dem Epic Fail hinter uns oder, um den Künstler Bob Ross noch mit ins Boot zu holen: „There are no mistakes, just happy little accidents.“ Stellt euch vor, wir müssten mit Anfang 20 Laufen lernen. Wie viele Menschen den aufrechten Gang wohl noch hinkriegen würden, mit den ganzen gescheiterten Versuchen und aufgeschürften Knien, die man sich auf dem Weg zum Erfolg zuzieht?
Das Richtige aus Fehlern lernen
Lassen wir uns von Misserfolgen nicht demotivieren, sondern lasst sie uns als Bereicherung sehen. Ok, neue Erfahrung gemacht. Schlüsse ziehen. Mund abwischen, weitermachen. Das nächste Mal wird es genau so nicht mehr passieren. Wenn wir die Irritation nutzen, die so ein Scheitern auslöst und uns fragen, woher der Fehler kommt und was man daraus lernen kann, dann macht uns das nicht nur erfahrener, sondern auch mutiger bei kommenden Entscheidungen.
Wenn wir das schaffen, unsere Fehler liebzugewinnen und positiver mit ihnen umzugehen, können wir auch ganz nebenbei mit Fehlern von anderen nachsichtiger sein und besser verzeihen. Allerdings, Memo an alle Fehlerfreudigen da draußen: Immer wieder denselben Fehler machen, bremst genauso aus wie ein übertriebener Perfektionismus. „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten“, soll Albert Einstein mal gesagt haben.
Gehet hin und machet Fehler
Schreiben wir uns das hinter die Löffel und probieren munter aus. Wohl wissend, dass das Scheitern hinter der nächsten Ecke warten kann. Aber selbst wenn, dann sagen wir nett „Hallo“, nehmen die Erfahrung mit und weiter geht’s. Wenn wir es wieder lernen, Fehler nicht als Misserfolg oder Unglück zu sehen, sondern als Etappe zum Erfolg, als Schritt zu einer größeren Erkenntnis, können wir nur gewinnen. Also los, scheitert, baut Mist, seid fehlerhaft und lernt was draus. Etwas Besseres kann uns gar nicht passieren.
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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz