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„Wir müssen die Frauen in Nordafrika nicht retten!“ Im Interview mit Mohamed Amjahid

„Let’s Talk About Sex“, Baby, ist ein sehr bekannter Nostalgiehit, der sich auf all die guten und schlechten Dinge bezieht, die passieren können. Dass Sexualität aber sehr viel mehr als das sein kann, zeigt „Let’s Talk About Sex, Habibi“ von Mohamed Amjahid. Mit seinem dritten Sachbuch geht der Politikjournalist und Moderator nach Nordafrika und spricht nicht nur übers Kondomkaufen, sondern ordnet auch die verschiedenen Regionen ein. So erfahren die Leser*innen unter anderem – mit viel Witz –, dass algerische Filmproduktionen weitaus weniger prüde sind als marokkanische … und was das mit der Zuschauerschaft macht.

Dabei ist Religion natürlich ein großes Thema, die Schlüsse lassen sich aber auch auf andere Konfessionen übertragen. Wie tief ist Sexualität letztlich verwurzelt? Wie nehmen Gläubige Bezug auf den allgemeinen Diskurs zur Körperlichkeit, beispielsweise durch ihre Profession im Gesundheitsbereich? ZEITjUNG sprach mit Amjahid zur Veröffentlichung von „Let’s Talk About Sex, Habibi“ am 29. September im Piper Verlag.

Seine Erzählweise ist messerscharf und pointiert. „Let me paint a picture for you“ – und die Szenen erwachen detailreich zum Leben. Manchmal springen die Themen auch wild – aber das ist dem Leben geschuldet. Während das eine Kapitel von Intimrasur handelt, dreht sich das nächste um den traurigen Abgang eines Kindes – und der „Anti-Anal-Rede“ eines Imans auf der Trauerfeier der ungeborenen Cousine, die aus dem Nichts kommt. Auch Bordelle und heterosexuelles Cruising finden ihre anekdotische Erwähnung und Einordnung – immer mit einem Blick auf toxische Männlichkeit, feministischen Befreiungskampf und Queer Culture.

Amjahid wurde 1988 in Frankfurt am Main geboren, zog aber im Kindesalter nach Marokko um. Für Rechercheaufenthalte zur Revolution in Ägypten arbeitete er 2011 zum Beispiel für mehrere Monate am Nil. Seine Arbeit wurde unter anderem mit dem Nannen-Preis ausgezeichnet. Der ehemalige ZEITmagazin-Redakteur veröffentlichte zuvor „Unter Weißen“ und „Der weiße Fleck: Eine Anleitung zu antirassistischem Denken“.


Was war ausschlaggebend für Sie, dieses Buch zu schreiben?

Ich habe in der Vergangenheit sehr viel als Buchautor auf die weiße Mehrheitsgesellschaft geguckt – also auf weiße Deutsche, auf Franzosen, auf Europäer – und habe versucht, diese zu dekonstruieren. Ich wollte als Buchform das nun umkehren und die vermeintlich „Anderen“ einmal auf die Bühne bitten. Also habe ich mich gefragt: „Wie kann ich, weil ich ja immer noch ein deutscher Autor bin, die Aufmerksamkeit von vielen Menschen hierzulande generieren, um sich mit der Lebensrealität von Menschen – in diesem Fall aus Nordafrika – auseinander zu setzen?“ Und wir interessieren uns doch alle für Bettgeschichten. So einfach war das! Dann haben mein Verlag und ich daran gearbeitet, „Let‘s Talk About Sex, Habibi“ zu Papier zu bringen.

Nordafrikanischen Bettgeschichten haftet irgendwie ein Tabu an …

Es ist eine gefühlte Distanz und deswegen ist es mir auch so ein Anliegen gewesen, über die Themen Sexualität und Körperlichkeit Geschichten über Feminismus, Queerness, Patriarchat und Kolorismus erzählen, sowie touristische Ausbeutung. Ich habe jetzt gerade einen Text abgeschickt für die TAZ: Nach dem Tsunami in Südostasien 2004 ist die Zahl der Sextouristen in Nordafrika, vor allem in Marokko und Ägypten, explodiert. Weil plötzlich der Markt in Indonesien zu war und dann haben sehr viele Männer gemerkt: „Marrakesch ist doch viel näher, ich kann mit EasyJet direkt hinfliegen, kostet mich 40 Euro. Und ich kann auch was, das in die Pedokriminalität geht, haben!“ Und das ist etwas, darüber müssen wir einfach in Deutschland sprechen.

Wir müssen aber auch über die queere Tradition in mehrheitlich muslimischen Ländern sprechen, ohne das zu romantisieren und zu sagen: „Da geht es allen super.“ Es ist ja auch ein sehr diverses Bild, das ich versuche, im Buch zu zeichnen. Manchmal denkt man sich in einem Kapitel so: „Wow, wie schön für queere Menschen!“ Und im nächsten Kapitel denkt man sich: „Bloß weg hier!“ Und die komplexe Realität war mir auch wichtig zu erzählen.