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„Wir müssen die Frauen in Nordafrika nicht retten!“ Im Interview mit Mohamed Amjahid

©Antoine Midant

Beim Lesen bekommt man den Eindruck, dass Frauen die besser aufgeklärten Menschen in Nordafrika sind. Ein Satz lautet da „Die Frauen hätten es mir sicher erklärt“, als Sie als Kind das Thema Sex nicht umgreifen konnten. Auch streifen Sie weibliche Freizügigkeit im Haman und Ihre Freunde in der Schulzeit hatten ein zum Teil merkwürdiges Verhältnis zu Sex und dem eigenen Körper. Obwohl der zum Teil in Nordafrika doch sehr üppige Aufklärungsunterricht für alle gleich ist! Woran denken Sie, liegt das?

Es ist natürlich gefährlich, zu generalisieren, aber ich würde sogar die These in den Raum stellen, dass Frauen überall aufgeklärter sind und aufgeklärter mit den Themen Sexualität, Emotionen und Beziehung umgehen. Das kann man natürlich nicht auf alle Frauen übertragen. Aber tendenziell habe ich schon das Gefühl, dass die vermeintlich weibliche Sozialisation dazu führt, dass frau offener darüber spricht und sich überhaupt auch informiert.

Ich beschreibe aber ja auch, wie während der Corona-Pandemie viele Frauen dazu übergegangen sind, schwule Männer zwangszuouten. In den USA gibt es eine lange Tradition von weißen Frauen, die vor allem schwarze Männer rassistisch motiviert in Gefahr bringen.

Aber generell habe ich auch mit dem Aufwachsen in Marokko gelernt, dass es einfacher ist, über Körper und sexuelles Begehren und Liebe allgemein mit Frauen ins Gespräch zu kommen. Und es ist auch kein Zufall, dass zum Beispiel ein Großteil der Buchkäufer in Deutschland Buchkäuferinnen sind. Bücher werden von Frauen gelesen. Ich lass das mal so als Information wirken.

Je nachdem, in welchem Bereich man guckt, sind es bis zu 70, 80 Prozent Frauen, die Bücher kaufen und lesen. Das sagt schon sehr viel aus über unsere Gesellschaft, über Patriarchat allgemein, über Machtgefälle aus. Dass es auch diesen Gender Gap einfach in der Informationsbeschaffung gibt, aber auch in der Kommunikation.

Als Frau ist das für mich natürlich total ermächtigend, gleichzeitig fragt man sich schon, wie man die Information dann an den Mann bekommt.

Der Klassiker: Als Weihnachtsgeschenk, aber der Mann liest es am Ende nicht. (lacht) Mir als Cis-Mann war es auch total wichtig, dass ich nicht für Frauen spreche, für Geflüchtete, für Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Nordafrika haben, weil ich lebe da ja nicht mehr. Meine Aufgabe als Autor war es, das Mikrofon weiterzugeben. Ich möchte die Lebensrealitäten einfach auch so darstellen, dass man sie gut nachvollziehen kann.

Das Klischee über die nordafrikanische, muslimische, nicht-weiße Frau: Die informiert sich nicht, die weiß nichts, die geht nicht zur Schule, die ist nicht emanzipiert. Das ist einfach nicht wahr. Das stimmt nicht! Es war mir wichtig, den nordafrikanischen Feminismus im Buch nochmal hervorzuheben und zu sagen: Aus europäischer Sicht müssen wir die Frauen in der Region nicht retten. Vielleicht supporten, in ihren Kämpfen. Aber es gibt so viel, was zwischen Casablanca und Kairo passiert an lesbischem Leben, an queerem Aktivismus, an Frauenkämpfen. Und ich hoffe darauf, dass das Inspiration auch für viele marginalisierte Gruppen hierzulande ist – wie die Menschen dort gegen das Patriarchat und gegen die Unterdrückung kämpfen.


Hier gelagt ihr zum zweiten Teil des Interviews

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Bildquelle: ©Antoine Midant