Macht uns die „German Angst“ vom Hasenfuß zum Hobby-Soldaten?
Die „German Angst“ ist zurück und dreht sich nicht länger nur um die Sorge vor Arbeitslosigkeit oder Altersarmut. Was seit den Silvesterübergriffen in Köln und der wachsenden Anzahl an Flüchtlingen in vielen Köpfen vorgeht, ist mehr als nur die typische Hasenfüßigkeit und Übervorsicht, die uns Deutschen so gerne nachgesagt wird.
Wie der Spiegel berichtete, stieg die Zahl der Menschen mit kleinem Waffenschein innerhalb von zwei Monaten um 21.000 an. Während in Köln im gesamten Jahr 2015, 408 kleine Waffenscheine ausgestellt wurden, gingen alleine in den ersten zwei Januarwochen über 300 Anträge auf den Schein ein. Im nationalen Waffenregister waren Ende Januar fast 301.000 kleine Waffenscheine registriert. Schreckschuss,- Reiz- und Signalwaffen kann zwar jeder Volljährige ohne Weiteres im Waffengeschäft oder im Internet kaufen, um sie außerhalb von zu Hause mitzuführen, braucht man aber den kleinen Waffenschein. Ohne einen solchen Schein darf man Pfefferspray nur dabeihaben, wenn man es zur Tierabwehr einsetzen will. Nach der Silvesternacht waren die Pfeffersprays vielerorts ausverkauft, sucht man bei Google Trends, sieht man, dass die Nachfrage zum Jahreswechsel explosionsartig angestiegen ist.
Mehr Sicherheit durch private Aufrüstung?
Ist die private Aufrüstung eine gute Idee? Verleihen uns Pfeffersprays oder Nachbildungen von echten Pistolen wirklich mehr Sicherheit? „Waffen bieten nur eine scheinbare Sicherheit“, erzählt Martina Baumgart vom Landeskriminalamt Hamburg dem Spiegel. „Es ist eine absolute Stresssituation und man ist nur bedingt handlungsfähig“. Bewaffnete Laien würden im Ernstfall eher eine zusätzliche Gefahr darstellen, heißt es im Artikel.
Ob ein Angreifer so lange wartet, bis man sein Pfefferspray aus der Handtasche gefummelt hat, ist fraglich.
Bedenkt man beim Pfefferspray die Windrichtung nicht, hat man es schnell selbst im Gesicht, eine Schreckschusspistole könne tödliche Verletzungen erzeugen, berichtet die Mitteldeutsche Zeitung. Während alle Welt vor Amerikas Waffengesetzen die Nase rümpft, wo allein im Jahr 2013 mehr als 32 000 Menschen erschossen und fast 85 000 durch Schusswaffen verletzt wurden, machen wir also den ersten Schritt in dieselbe Richtung.
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Im Gegensatz zu den amerikanischen Waffenbesitzern, die auf ihren Freiheitsrechten und dem „Second Amendment“ beharren, das ihnen das uneingeschränkte Recht auf Waffenbesitz garantiert, sind die Beweggründe in unserer Gesellschaft wohl andere. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts GfK blicken 55% der Deutschen mit Angst ins neue Jahr.
Wir haben Angst vor dem „Flüchtlingsansturm“, Angst vor den Unbekannten, die in unser Land kommen, Angst, zu viel abgeben zu müssen und Angst, nicht mehr sicher zu sein. Die Angst wird auf allen denkbaren Kanälen verbreitet. Wir lesen Schlagzeilen wie „1000 Flüchtlinge vergewaltigen Frauen in Köln“ oder „Asylant wollte Deutsche in Disco vergewaltigen“. Wir sehen im Fernsehen, wie Bomben in Paris und Istanbul explodieren und hören im Radio, wie die Flüchtlingszahlen immer weiter ansteigen. Wir werden auf Facebook für unsere „naive Willkommenskultur“ kritisiert und im Minutentakt darüber aufgeklärt, welche Gefahren auf uns zukommen werden und das das Leben in Deutschland nie wieder dasselbe sein wird. Terrorexperten sind die neuen C-Promis, ständig sieht man sie im Fernsehen, wie sie uns erklären, dass Paris nur der Anfang war und Europa sich auf „diese Gefahr“ vorbereiten müsse. Dass das Angst in der Bevölkerung schürt, ist mehr als logisch.
Angst als neue Trend-Erscheinung?
Spätestens seit Silvester können viele „besorgte Bürger“ dieser Angst jetzt aber auch ein Gesicht zuordnen und es ist meistens das der Flüchtlinge. Die Übergriffe am Kölner Bahnhof scheinen die offene Hetze legitimiert zu haben, Angst scheint einen zu unrefklektierten Äußerungen zu berechtigen und jemandem der besorgt ist, darf man eben das nicht vorwerfen. Allzu oft hat man aber den Eindruck, dass diese Angst irgendwie auch eine versteckte Form der Sensationslust ist. Wer Angst hat, hat was zu sagen, kann lang und breit seine Gefühle darlegen und sie ins Zentrum der Diskussion stellen. Hysterie im Kollektiv verbindet.
Selbstverständlich ist es niemandem vorzuwerfen, sich angesichts solcher Meldungen Sorgen um die Zukunft zu machen, andererseits scheint Angst bei vielen Leuten auch einfach nur im Trend zu sein.
Geht unser Leben nicht eigentlich so weiter wie bisher, nur eben mit trendigem Pfefferspray in der Tasche? Oder macht uns die Angst bald zu genau den republikanischen Hinterwäldlern, die bei jedem nächtlichen Geräusch aus ihrem Schlafzimmerfenster ballern und für die wir sonst nur ein überhebliches Grinsen übrig hatten?
Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Schusswaffen und Pfefferspray, der Zweck bleibt aber doch derselbe. Ebenso die Probleme, die mit dem Besitz von Waffen einhergehen. Dass sie immer auch Unschuldige treffen können, dass sie immer auch gegen einen selbst verwendet werden können, und dass es immer einen Dummen gibt, der eine Schreckschusspistole für alles andere als Notwehr einsetzt.
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Titelbild: Lilit Matevosyan unter CC BY-ND 2.0