Gibt es bedeutungslosen Sex?
Ein Blick, ein Lächeln, eine Berührung. Der Flirt ist omnipräsent. Er füllt die Luft und das Gefühl, alle anderen könnten ihn auch wahrnehmen lässt nicht nach. Doch egal. Es ist schön. Noch ein Blick, noch ein Lächeln. Knistern, Endorphine, Adrenalin. Wie eine Droge steigt es innendrin auf.
Eine auf einen Zettel gekritzelte Telefonnummer und einen Anruf später folgt ein Kuss, viele Küsse, Berührungen, Sex. Ein klassischer, analoger One-Night-Stand.
Doch vor allem in Zeiten von Tinder ist es keine Seltenheit, sich in seinem geschäftigen, unabhängigen, individualistischen Alltag hier und da ein kleines Abenteuer zu gönnen. Was früher noch ein wenig verpönt war und nur hinter vorgehaltener Hand im Inner Circle erzählt wurde, ist heute fast zu einem Statussymbol verkommen. „Hatte letzte Woche was mit ’nem*’ner Banker*in/ Steward*ess/ Geschichtsstudenten*in …“
Und dann? Nichts. Danach wird nicht mehr darüber gesprochen. Es ist als wäre es das eingestehen einer großen Schwäche, dass man noch mehr, als eine Satzlänge über seine letzte Errungenschaft nachdenkt. Doch kann Sex (so) bedeutungslos sein?
Bedeutungsloser Sex: Hauptsache unabhängig
Kann oder soll man sich emotional so abgrenzen, dass es uns eine Liebesnacht am nächsten Morgen nicht von unserem Alltag abhält? Unserer Effektivität? Unseren Pflichten?
Schon Carrie aus Sex and the City stellte in der Pilotfolge der Kultserie fest, dass wir Affären am Morgen am besten schnell vergessen sollten und dass „Selbstschutz und Vertragsabschlüsse“ längst vor zu viel Amore kommen. Wie wenig das bei ihr dann tatsächlich klappt, dürfte selbst Menschen, die die Serie früher nicht gesuchtet haben, klar sein.
Was aber, wenn man den*die Anderen nicht aus dem Kopf kriegt? Eine intime Nacht mit einer interessanten Person kann diesen Effekt auf uns haben. Doch ist das nicht auch normal? Irgendetwas war es ja auch, dass unsere Augen aufblitzen ließ beim Anblick des Gegenübers. Und klar, wird nicht aus jeder sexuellen Anziehung auch eine emotionale Basis für eine feste Beziehung geschaffen, aber müssen wir gleich so tun, als hätte eine körperliche Verbindung mit jemandem überhaupt keine Bedeutung? Muss einmaliger Sex bedeutungslos sein?
Es ist dabei nur zu normal, dass einen so etwas nicht völlig kalt lässt. Seinen Körper mit jemandem teilen, heißt viel mehr als nur Befriedigung. Sex ist ein Austausch von Lust, Leidenschaft und Gefühl. Intimität und Nähe, auch wenn es krass zur Sache geht. Egal wie „bedeutungslos“ wir es danach reden.
Bedeutungsloser Sex heißt nicht automatisch Unabhängigkeit
Leider haben wir heute gelernt, dass die eigene Effektivität und Darstellung nach außen über jeglicher Emotionalität und Empathie stehen sollte. Um erfolgreich sein zu können, müssen wir „resilient“ sein. Emotional widerstandsfähig. Ist gerade in aller Munde und wird leider von vielen auch wieder so gedeutet, dass wir dadurch extrem unabhängig sein sollen.
Das kann uns zu starken Individuen machen – und zu Egoist*innen. Wenn wir, nur um einen Ideal zu entsprechen, kälter verhalten, weil wir das als unabhängig empfinden, sind wir vieles. Aber nicht unabhängig.
Unabhängig sein heißt zugeben können, dass es vielleicht doch mehr war, als nur bedeutungsloser Sex. Oder, dass man doch noch länger darüber sprechen oder nachdenken möchte. Es heißt, dass man seine Gefühle nicht wegsperren muss, weil es nicht in ein gesellschaftliches Bild von Erfolg passt. Unabhängig sein heißt, dass Sex nicht bedeutungslos sein muss und man es nicht verurteilt, wenn man ihm mehr Bedeutung zusprechen möchte.
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Bildquelle: Unsplash; CCO-Lizenz