Ezra Furman Interview

Ezra Furman: „Ich bin stolz darauf, nicht genderkonform zu sein“

Vor mir sitzt mit Ezra Furman ein unfassbar schüchterner Mann, in dem eine Menge mitreißender Rock ’n‘ Roll schlummert. Wie auf dem Albumcover zu seiner aktuellen Platte „Perpetual Motion People“ abgelichtet, sitzt mir der amerikanische Musiker im roten Kleid gegenüber, Lippenstift trägt er heute ausnahmsweise nicht. Seine einzigartige Stimme wirkt leicht angeschlagen, nichtsdestotrotz wird Ezra nur zwei Stunden später auf der Gloria Stage des dänischen Roskilde Festivals einen Wahnsinnsauftritt hinlegen! Doch zuvor quatsche ich mit ihm über seine Bisexualität, sein Verhältnis zum Judentum und seine neueste Platte „Perpetual Motion People“.

Zeitjung: Beginnen wir gleich beim Titel des Albums „Perpetual Motion People“. Bist du eine Person, die ständig in Bewegung ist?

Ja, ich bin ein Mensch, der sich ständig hin und her bewegt und sich nirgends heimatverbunden fühlt. Das Album ist aber auch für Leute, die nie wirklich aufhören, sich zu bewegen und ähnlich fühlen, die eine gewisse Art von Rastlosigkeit innehaben.

Auf dem ersten Song des Albums „Restless Years“ sprichst du auch diese Rastlosigkeit an. Du kommst aus Chicago und weißt nicht so recht, wo du dich wohlfühlen kannst.

Ja, meiner Meinung nach ist die menschliche Seele ein kompliziertes Etwas. Für mich war es wichtig, zu realisieren, dass ich bisher keinen Platz zum Leben gefunden habe. Nein, schon mein ganzes Leben fühle ich mich so fehl am Platz. Diese Welt ist nicht meine Heimat, ich gehe einfach durch sie hindurch und fühle mich rastlos, wie ich es im Song beschreibe.

Ist es dann für dich immerhin leichter, auf Tour zu gehen und ständig unterwegs zu sein?

Auf Tour zu gehen ist trotzdem schwer für mich –  wobei klar, ich liebe es schon. Aber ich brauch einfach meine Zeit allein, ich bin sehr introvertiert. Ich genieße es einerseits, andererseits entzieht es mir viel Kraft. Außerdem machte ich mir bei den Auftritten immer Gedanken, wie ich auf das Publikum wirke. Das war für mich Gift, zu viel davon machte mich wirklich verrückt und krank. Aber in letzter Zeit ist es so, dass es mir einfach egal ist, was die Leute über mich denken.

Dieses Selbstvertrauen muss man sich aber erst mal erarbeiten, wobei dir auch die Musik geholfen hat. Auf dem Cover zum neuen Album stehst du nun mit Kleid total im Mittelpunkt, soll das schon eine Art Botschaft sein?

Ich bin stolz drauf, dass es dieses Mal eher offensichtlich ist, dass ich Frauenklamotten trage. Die waren beim letzten Album zwar auch drauf, aber das ist nicht eindeutig zu sehen. Ich denke, man kann ganz klar sehen, dass ich nun viel mehr stolz darauf bin, nicht genderkonform zu sein. Der Grund dafür ist, dass es für mich eine lange Zeit gedauert hat, zu realisieren, wie sehr ich in dieser Maskulinität gefangen war. Ich hatte Angst rauszufinden, dass ich nicht so maskulin wie andere Männer bin. Ich dachte mit diesem Cover kann ich Leuten, die ähnliche Probleme haben, zeigen, ihr müsst euch nicht fürchten! Es ist möglich, ohne Angst ein femininer Mann oder eben keine genderkonforme Person zu sein, die einfach megacool ist.

Klar, das wird viele, die ähnlich fühlen, inspirieren oder weiterhelfen.

Ich denke, ich kann dabei eine Art Vorbild für die Menschen sein, die sich auch nicht genderkonform fühlen. Hätte ich so jemanden früher in meinem Leben gehabt, hätte mir das viel Schmerz erspart. Es wäre gut, wenn ich mit meiner Art vielen Leuten helfen kann.

In deinem Song „Body was Made“ singst du ja genau über das Problem, dass Geschlechter von unserer Gesellschaft konstruiert sind. Frauen werden auf ihren Körper reduziert, Männer müssen immer total maskulin sein und viele andere solcher Klischees sprichst du in dem Text an. Welchen Nerv wolltest du mit dieser Nummer treffen?

Definitiv bezieht es sich auf das, was du gerade angesprochen hast. Zusammengefasst ist der Song eine Unabhängigkeitserklärung gegenüber Bodyshaming und gesellschaftlicher Kontrolle. Diese Art, wie Leute sich gegenseitig mobben und Mitmenschen dazu bringen, sich wegen ihrer Gelüste und wegen ihres Körpers zu schämen. Was eine Schande ist, weil es buchstäblich Menschen tötet.

Ja, es ist einfach so verrückt, wie Menschen, egal ob im Netz oder im wahren Leben, bis in den Selbstmord gemobbt werden.

Und deswegen ist dieser Song ein Fuck You zu Mobbing!

Man merkt dir an, dass du selbst schlechte Erfahrungen mit Mobbing gemacht hast.

Natürlich! Ich habe immer gehofft, dass mich niemand bemerkt, oder niemand merkt, dass ich nicht heterosexuell bin. Ich wollte mich zu meiner Bisexualität nicht bekennen und hab dieses Maskuline lange behalten, mich dort versteckt.

Damit sie dich nicht erwischen?
Genau! Weißt du, als ich angefangen habe, mich weniger männlich zu kleiden, fingen die Leute an, mich zu beschimpfen und Mist zu reden.

Aber ich denke, das Problem hier sind nicht die fremden Leute, sondern vor allem Familie und Freunde, die einen nicht akzeptieren, oder?

Ja richtig, über Fremde habe ich mich nicht so oft geärgert, aber wenn es Leute aus deinem Leben sind, schon. Von Familie und Freunden zurückgewiesen zu werden, hat mich wirklich gelähmt. Das musste ich alles gewaltvoll wegwerfen, zum Beispiel mit Musik.

Speziell an deiner Musik ist diese smoothe Art, Elemente der 50er Jahre Musik in modernen Indie Rock umzuwandeln. Ist das eine Möglichkeit für dich, die Liebe zu dieser Epoche zu zeigen?

Die 50er Jahre waren einfach eine ganz andere Welt. Es sind nicht nur ein paar Hits, es gab Millionen von geilen Bands. Was mich an diese Zeit so erinnert ist, dass Amerika in so einer Art Stimmung der Unterdrückung war, vor allem für die afroamerikanische Bevölkerung. Ich denke, diese Unterdrückung hat eine Menge Energie gegeben. Sie sangen über all das, was sie eigentlich nicht singen durften. Das schafft ein gewisses Drama. Das macht dein Baby oder eben Song wirklich zu einer Symphonie. Durch was man sich damals alles kämpfen musste, prägt einen. Und so ähnlich geht es mir eben, ich hab auch eine Menge Angst in meinem Leben, dazu diese gesellschaftliche Unangepasstheit. Ich konnte in nicht Worte fassen, was ich fühle, deswegen drücke ich es durch Musik aus. Dafür ist Musik da. Sich einfach jenseits von zu Wörtern bewegen. Deswegen hab ich auch diese Shoo-be-doos und Sha-la-las.

Du bist praktizierender Jude, das äußert sich beispielsweise darin, dass du am Sabbat keine Gigs spielst. Gibt’s da Konflikte zwischen Religion und deinem Rock ’n‘ Roll Leben?

Ein wirklich authentisch spirituelles Leben ist nicht für jeden geeignet. Das zu versuchen, ist in unserer Gesellschaft immer etwas deplatziert und war es auch schon immer. Es macht dich zu einer Person, die dich abschneidet von der alltäglichen Welt, von sozialen Banalitäten. Es ist mein Ziel, etwas Transzendenz und Würde in den Rock ’n‘ Roll zu bringen. Religion und Rock ’n‘ Roll haben das ziemlich gleiche Ziel, sie wollen dich beide aufrichten. Es gibt den Konflikt, klar, aber es ist eben auch eine Herausforderung den Himmel zur Erde zu bringen. Ich arbeite dran!

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Bildquelle: Privat