Stevie Wonder auf der Bühne

Liebeserklärung an: Stevie Wonder

Es sind die kleinen Dinge, die uns den Alltag versüßen. Wir alle kennen diese kleinen Muntermacher, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder die guten Tage noch schöner werden lassen! Unsere Liebeserklärung bietet diesen Glücksmomenten eine Bühne.

Lieber Stevie Wonder,

Du bist verantwortlich für den Inbegriff des schnulzigen, sich im Ohr festsetzenden Achtziger-Jahre-Popsongs. Wenn es aus dem Radio tönt, dass uns jemand mal eben kurz anrufen wollte, um uns zu sagen, dass er uns liebt, dann ist das seichte Pop-Romantik aus dem Jahrzehnt, in dem ein Fax etwas Aufregendes war. Ja, so lang ist das schon her.

Doch bei allem Kommerz und aller Austauschbarkeit, die dieses Lied umgeben mag: Dich darauf zu reduzieren, würde deinem musikalischen Oeuvre nicht gerecht werden. Denn da ist eben auch der andere Stevie Wonder. Und zwar der Stevie Wonder, der soziale Ungerechtigkeit thematisiert. Der Stevie Wonder, der sich mit Nachdruck dafür einsetzte, dass Martin Luther King seinen eigenen, offiziell anerkannten Feiertag erhält. Und, nicht zuletzt, der Stevie Wonder, der wie ein Wunderknabe gleich mehrere Instrumente beherrscht und mit dafür verantwortlich ist, dass Synthesizer in der Popmusik einen festen Platz gefunden haben.

Ein Wunder

Das Ganze ist nicht zuletzt bewundernswert, da dein Leben mit etwas begann, das eine Karriere als Musiker von vornherein unheimlich erschwert. Du kamst als Frühgeburt zur Welt und musstest daher für einige Wochen in einen Inkubator. Dort bekamst du dermaßen viel Sauerstoff zugeführt, dass sich deine Netzhaut nicht vollständig entwickeln konnte und du nach etwa sechs Wochen erblindetest.

Eben jener Umstand trug dann auch zu deinem Künstlernamen bei. Dieser Junge, der schon mit zwölf Jahren sein erstes Album vorlegte und dabei das Piano bearbeitete, wie es einigen anderen Menschen vielleicht nie in ihrem Leben gelingen wird, war schlichtweg ein Wunder. Und so trat er nicht mit seinem eigentlichen Namen Stevland Hardaway Judkins Morris auf, sondern eben als Stevie Wonder. Was ihn in seiner musikalischen Entwicklung allerdings hemmte: Sein Plattenlabel Motown Records (seine Aufnahmen erschienen bei dessen Tochterunternehmen Tamla) gab ihm einerseits Songschreiber an die Hand oder ließ ihn „sichere“ Nummern anderer Künstler singen, beispielsweise von Ray Charles oder von den Beatles.

Nicht nur „irgendwie“, sondern mit ganzer Seele und mit einer Botschaft

Doch du wolltest nicht nur „irgendwie“ Musik machen, Stevie Wonder, sondern durch sie auch tatsächlich etwas ausdrücken. Das durftest du dann endlich ab 1972, als du mit 22 Jahren dein Album „Music of My Mind“ vorlegtest, bei dem jeder aus deiner eigenen Feder stammt (ein paar davon auch gemeinsam mit deiner damaligen Partnerin Syreeta Wright). Dieses Album ließ eine Ära beginnen, die Stevie-Wonder-Fans heute als „Classic Period“ bezeichnen. Vereinfacht ausgedrückt: Hier war Stevie Wonder am besten. Die Songs hatten bedeutungsvolle Texte, die Musik war voller Soul und Rhythm’n’Blues gemischt mit einer guten Portion Rock und Pop, und der Gesang war ohnehin ganz oben anzusiedeln. Als sein Meisterstück gilt das 1976 veröffentlichte Doppel-Album „Songs in the Key of Life“, das in den USA Diamant-Status besitzt. Was untermauert, dass sich Stevie Wonders Musik nicht nur gut verkaufte, sondern eben auch Anspruch besaß und von Kritikern anerkannt wurde: Von 1972 bis 1977 erhielt er zwölf Grammy Awards. Insgesamt waren es (bisher) in seiner gesamten Karriere 25 dieser Trophäen.

Eine Konstante deiner Musik ist natürlich Soul sowie Rhythm’n’Blues. Aber, und das zeichnet dich eben aus, du lässt gern jenes mit einfließen, das du neu für dich entdecktest. „Superstition“ enthält eines der vielleicht besten Intros der Geschichte der Popmusik, das von dem sogenannten Clavinet von Keyboard-Hersteller Hohner gekennzeichnet ist. Das Besondere daran war, dass es dadurch diesen typischen 1970er-Jahre-Funk-Sound hat, es klingt wie ein Hybrid aus Piano und E-Gitarre. Songs wie „All in Love Is Fair” sind klassische Balladen, in denen es um den süßen Schmerz der Liebe geht. Bei „Master Blaster (Jammin‘)“ zolltest du niemand Geringerem als Bob Marley Tribut. „Heaven Is 10 Zillion Light Years Away“ bekommt mit jeder Sekunde mehr Gospel eingeflößt und reißt jeden mit, der Musik mit Leib und Seele liebt. Deine Musik, Stevie Wonder, ist einer der vielleicht buntesten Blumensträuße, die Vertreter der Black Music zu bieten haben. Und das Beste: Er wird nie verwelken.

Auf zwei Songs wollen wir ein wenig im Detail eingehen. Wer auf Soul und Funk steht, dem sei das Hineinhören unbedingt empfohlen.

You Haven’t Done Nothin‘

Zwei von Stevie Wonders Songs kritisieren, mehr oder weniger versteckt, die Politik von Richard Nixon, der zur Zeit der Veröffentlichung jener Werke gerade Präsident der USA war. In „He’s Misstra Know-it-all“ kreidet Wonder besonders sein ignorantes und selbstgefälliges Verhalten an: Ein Politiker, der vor allem dafür arbeitet, dass Geld in seiner eigenen Tasche landet. In „You Haven’t Done Nothin‘“ wird er, der Titel sagt es schon aus, vielleicht noch etwas direkter. Simpel ausgedrückt: „Junge, du hast nix erreicht“. Und das ist vielleicht das schlimmste Urteil, das ein Politiker erhalten kann, der das Amt bekleidet, das ihn zum doch eigentlich mächtigsten Mann der Welt macht. Das Beste: Der Song hat nicht nur eine konkrete Botschaft, sondern klingt auch noch gut. Da ist unheimlich viel Funk, unheimlich viel Drive. Und, kleiner Funfact: Da sind nicht zuletzt die Jackson Five, die Wonder während des Refrains mit einem schmissigen „Doo da wop!“ unterstützen.

Living for the City

Dieser Song ist im Grunde Stevie Wonders ganz eigene Abrechnung mit dem klassischen American Dream. Die Message: Als Afroamerikaner hast du keine Chance, diesen zu verwirklichen. Denn egal wie hart du schuftest, egal wie sehr du dich auch abrackerst und versuchst, die Leiter des Erfolgs hinaufzuklettern – es reicht gerade eben, um in der Stadt zu überleben.

In der Album-Version des Songs ist das Ganze sogar durchsetzt von einer Art „Live-Ausschnitt“, wie ein junger Mann in New York City ankommt und, ohne eigenes Verschulden, nach wenigen Sekunden in die Hände der Polizei gerät und schließlich verurteilt wird. Wonder bedient sich in dem Text diverser Szenarien. Und verleiht dabei jedem, der hier erwähnt wird, trotz aller Vergeblichkeit, die dieses Stadtleben prägen, vor allem eines, und zwar Würde. Denn da heißt es: „To walk to school, she’s got to get up early. Her clothes are old, but never are they dirty.”

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Bildquelle: Wikimedia; CCO-Lizenz