regretting motherhood

#regrettingmotherhood: Darf man das Muttersein bereuen?

Wenn ich heute zurückgehen könnte, hätte ich natürlich keine Kinder. Das ist absolut selbstverständlich für mich.”

Eine aktuelle Forschungsarbeit der Universität Tel Aviv behandelt ein Thema, das am liebsten totgeschwiegen wird: Mütter, die ihre Mutterschaft bereuen. Die Soziologin Orna Donath hat dafür 23 Frauen in intensiven Gesprächen zu ihrer Mutterrolle befragt und die Ergebnisse in ihrem Essay Regretting Motherhood: A Sociopolitical Analysis  festgehalten.

Sie könne es nicht verstehen, wenn andere Mütter von Glück sprächen, sagt zum Beispiel Atalya. Tirtza hält die Mutterschaft für den Albtraum ihres Lebens. Und Charlotte meint, sie ziehe aus ihrer Mutterrolle keinerlei emotionalen Gewinn.

Die erste Reaktion: Empörung. Wie kann man nur so etwas sagen! Kinder machen doch glücklich! Oder?

 

Die Torschlusspanik bleibt nicht aus

 

Eine Studie der National Academy of Sciences sagt: nicht zwingend. Daten von drei Millionen Menschen aus 161 Ländern belegen, dass es für die persönliche Zufriedenheit weitgehend egal ist, ob man Kinder hat oder nicht. Mütter und Väter sind somit statistisch gesehen nicht glücklicher als Kinderlose. Ist eigentlich auch klar, dass das Leben nicht automatisch tausend Mal geiler wird, sobald man ein Baby auf dem Arm hat. Der Kinderwunsch scheint trotzdem auch heute noch das Nonplusultra für viele Frauen zu sein – aber eben nicht für alle. Dass von den eigentlich kinderlos glücklichen Frauen dann schlussendlich doch viele Mutter werden, ist vor allem ein gesellschaftliches Konstrukt.

„Es ist eine unglaubliche kulturelle Errungenschaft, als Frau die Wahl zu haben und sich auch gegen Kinder entscheiden zu können. Dieser Entschluss erfordert aber immer noch Mut“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie. Mut, weil die biologische Uhr tickt. Und zwar unablässig. Anfang zwanzig machen sich noch die wenigsten Frauen Gedanken über ihre Fortpflanzungsmöglichkeiten – mit 32 sieht die Sache anders aus. Torschlusspanik kommt auf. Erzeuger finden, Babys machen, Haus bauen, schnell! Die Zeit ist fast um!

Die unablässig schwangeren Freundinnen, Omas aufdringliche Frage, wann sie denn endlich Urgroßmutter werde, und der allmählich einsetzende körperliche Verfall tragen nicht gerade zur Entspannung der Situation bei. Da stehst du nun. Anfang dreißig, die ersten Fältchen kriechen aus den Augenwinkeln, und du hörst dich zu dem Typen sagen, den du wirklich nicht als Liebe deines Lebens bezeichnen kannst, der aber eben da ist: Komm, lass uns mal machen. Wird schon schief gehen.

 

Nicht jede Frau wächst in einen Kinderwunsch hinein

 

Und wenn es schief geht, wenn man sich einfach nicht als Mutter eignet? „Nicht jede Frau wächst automatisch, einer linearen Entwicklung gleich, in einen Kinderwunsch hinein“, sagt Orna Donath. Es muss auch nicht mal was mit Torschlusspanik zu tun haben. Selbst mit dem Traumpartner, einem Eigenheim und ausreichend finanzieller Absicherung ist das Phänomen regretting motherhood  nicht auszuschließen. „Der Gedanke liegt nahe, dass die Frauen, die ich befragt habe, eine in irgendeiner Form extrem schmerzvolle Mutterschaft durchlebt haben“, so Donath, „aber dem ist nicht so. Es sind ganz normale Frauen, die ihre Mutterrolle aber mit einer anderen emotionalen und kognitiven Haltung bewerten, als der soziale Kontext es verlangt.“

Dass die Auseinandersetzung mit regretting motherhood  höchst schwierig ist, zeigt vor allem die Debatte in den sozialen Netzwerken. Auf Twitter entwickelt sich gerade ein kleiner Shitstorm, Befürworter gibt es kaum. Vermutlich, weil angenommen wird, dass die „bereuenden Mütter“ ihre Kinder abweisen oder gar hassen – das stimmt aber nicht. Eine der Befragten startet einen Erklärversuch:

„Schauen Sie, es ist kompliziert zu erklären. Ich bereue es, Mutter geworden zu sein, aber ich bereue nicht meine Kinder. Ich liebe sie. Ich bereue es, Kinder bekommen zu haben – aber ich liebe die Kinder, die ich bekommen habe. Ich wünsche mir nicht, dass sie nicht hier wären, ich möchte einfach keine Mutter sein.“

Mit Sicherheit kann man sagen, dass die Zeugung eines Kindes wohl überdacht sein sollte. Dennoch: Ich kann und darf alles bereuen, was ich in meinem Leben falsch gemacht habe. Ich darf das peinliche Tattoo auf meiner Schulter bereuen und ich darf meine letzte verkackte Beziehung bereuen. Warum dann nicht auch meine Mutterschaft?

„Ohne Dich wärs besser“ – ich weiß wie es ist, das zu hören. Und ich werde und will diese „Mütter“ nie verstehen. Nein.”  kommentiert eine Userin das Thema auf Twitter. Ich verstehe sie, wirklich. Aber darum geht es hier nicht. Es geht um all die Frauen, die mit dem Konzept von Mutterschaft nicht zurecht kommen und bisher nie die Möglichkeit hatten, offen darüber zu sprechen. Gut, dass wir es jetzt tun.

 

Bildquelle: UNICEF Ukraine über CC BY 2.0

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!