Projekt A

Anarchismus kann mehr sein als ein Anarcho-A an einer Wand

Von Utopien und ersten Schritten

 

Keine Hierarchien, keine Unterdrückung, komplette Freiheit und Selbstbestimmtheit. Ein Leben ohne Staat und Polizei. Das hört sich in der Theorie schön an, aber könnten wir wirklich ohne Gesetze leben? Wenn jeder machen könnte, was er möchte, und das Zusammenleben von über 80 Millionen Menschen nur untereinander geregelt würde? Das kann man sich im Land der Bürokratie und Kleinkariertheit irgendwie nur schwer vorstellen. Ist der Anarchismus also tatsächlich als Utopie abzustempeln oder haben wir es uns in unserer Staatsform einfach zu bequem gemacht, um wirklich etwas verändern zu wollen?

„Eine Utopie wird’s immer geben, aber es geht darum, die Schritte in diese Richtung zu machen. Dass man wirklich sagt: ‚Wir wollen anders leben, wir wollen das Wirtschaften anders organisieren.‘ Es gibt Anarchismus, es gibt Kommunen und solidarisches Wirtschaften, aber das sind halt nur kleine Pflänzchen und die Frage ist, wie weit das in die Gesellschaft reinstreut“, beantwortet Marcel unsere Frage. Auch für Moritz geht es weniger um die gesamtgesellschaftliche Revolution. Wichtiger wäre die „Revolution im Alltag.“ Ich glaube, es geht eher darum, für sich zu sagen: ‚Okay, ich fange einfach bei den Dingen an, die direkt vor meiner Haustür passieren.‘ Und daraus ergeben sich dann die größeren Zusammenhänge. Aber wenn wir immer nur denken ‚Das ändert ja jetzt an den herrschenden Umständen nichts.‘ Oder: ‚An die ganz Großen kommen wir ja doch nicht ran.‘ Dann hat das auch etwas sehr Lähmendes. Ich glaube, es geht gerade um diese ersten Schritte.“

 

Car-Sharing und Coworking Spaces statt Studentenbewegungen und Demos?

 

Die ersten Schritte hat Hanna Poddig schon lange hinter sich. Die Umweltaktivistin lebt den Aktivismus sozusagen in Vollzeit, kettet sich an Bahngleise, um gegen Castor-Transporte und Bundeswehreinsätze zu protestieren. Als Kletteraktivistin wurde sie gegen das G8-Treffen in Heiligendamm aktiv und seit einigen Jahren setzt sie sich als Strafverteidigerin für andere Aktivisten ein. Bei einem solchen Lebenslauf fällt einem die eigene Untätigkeit ein bisschen wie Schuppen von den Augen. Unserer Generation wird allgemein eher Politikverdrossenheit als Engagement nachgesagt. Wehren wir uns zu selten gegen das System und treten wir zu wenig für unsere Ideale ein? Geht denn niemand mehr auf die Straße und will keiner mehr etwas verändern?

„Ich finde eigentlich, dass ziemlich viel passiert, und dass, gerade was Besitz angeht, in der heutigen Generation ein anderes Verständnis herrscht. Ich muss das Auto nicht besitzen, ich bin bei einem Carsharing mit dabei. Ich muss kein eigenes Büro haben, sondern man nutzt Räume. Ich glaube, da ist ein ganz anderes Verständnis in der neuen Generation und ich glaube, das Bewusstsein an sich ist schon irgendwie da und ganz viele Leute denken sich, es ist eigentlich besser, wenn man sein Geld bei einer sozial-ökölogischen Bank anlegt. Oder es ist eigentlich gut, nachhaltig produzierte Lebensmittel zu kaufen oder Klamotten, die anders produziert werden. Ich glaube, das Verständnis ist da, aber die Leute wissen manchmal nicht genau, wo sie ansetzen können. Es ist auf jeden Fall anders als in der 68er-Generation, wo der Protest sich ganz stark über dieses totale Dagegen-Sein definiert hat, aber das System war auch ein anderes“, erklärt Moritz. Marcel sieht das genauso: „Bei der TTIP-Demonstration in Berlin waren glaube ich 150.000 Menschen und ich denke schon, dass viele Dinge passieren. Es wäre natürlich schön, wenn noch mehr passiert und vor allem denke ich auch, dass unser alltägliches Leben sich so verändern muss, dass es die Struktur automatisch mit ändert.“