Die russische Flagge hat für viele Menschen eine große Bedeutung

„Da ist kein Krieg“: Wenn die Eltern Putin verehren

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt die ganze Welt. #standwithukraine ist der Leitsatz, Solidarität mit dem Land für die meisten Menschen das höchste Gebot. Nicht aber für Milenas Eltern. Denn ihre Eltern kommen aus Russland, verehren Putin sogar. Er ist ein Held für Milenas Eltern.

Für die 22-jährige Studentin ist das nicht immer leicht, das Thema führt zuhause oft zu Konfrontation und Streit. Trotzdem bleiben es ihre Eltern. Ihre Eltern, die eine Geschichte haben. Emotionen, die ihre Ansicht nachvollziehbarer machen. „Meine Eltern sind ja keine Arschöcher“, sagt sie. „Das ist einfach Propaganda“. Es ist wichtig, dass ihre Geschichte erzählt wird. Denn nur so können wir den Krieg verstehen.

Ein Gespräch über Russland, Konfrontation und eine andere Perspektive.


ZEITjUNG: Vielleicht erst einmal ganz allgemein: Woher kommen deine Eltern, wieso sind sie nach Deutschland gekommen, was ist ihre Geschichte?

Milena: Meine Eltern sind beide in Kasachstan aufgewachsen, mein Vater ist Russe und meine Mutter Deutschland-Russin. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnten die Eltern meiner Mutter nach Deutschland kommen, weil sie von dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl eingeladen wurden. Ihre Verwandtschaft, die einen russland-deutschen Ursprung hatte, haben sie mitgenommen.

ZEITjUNG: Inwiefern spielt die russische Kultur noch eine Rolle in eurem Alltag?

Milena: Eine sehr große. Es läuft den ganzen Tag russisches Fernsehen bei uns. Vor allem mein Vater schait von morgens bis abends. Das ist in vielen Familien so: Die Nachrichten werden immer geschaut. Insgesamt waren meine Eltern jetzt nie so „streng russisch“. Also ich durfte rausgehen, wann ich wollte und machen, worauf ich Lust hatte. Aber es gab schon immer russisches Essen bei uns und meine Eltern sprechen immer russisch mit mir.

ZEITjUNG: Als der Krieg in der Ukraine begann: Wie haben deine Eltern reagiert?

Milena: Ich habe meine Eltern direkt angerufen und gefragt, was sie jetzt dazu sagen. Meine Eltern meinten dann sofort: Das ist kein Krieg. Irgendwann war dann nicht mehr die Rede davon, ob das jetzt ein Krieg ist oder nicht. Es ging dann darum, warum es berechtigt war, die Ukraine anzugreifen. Gerechtfertigt haben sie es damit, dass Russland schon immer einen Anspruch auf die Ukraine gehabt hätte, dass die Ukraine voll von Faschisten und Nazis sei und Russland der Retter in Not. Also die typischen Dinge, die Putin vertritt.

ZEITjUNG: Weil du gerade schon damit begonnen hast. Was ist denn die politische Ansicht deiner Eltern?

Milena: Ich glaube, um ihre Ansicht zu verstehen, muss man auch ein bisschen die Geschichte Russlands sehen – vor allem die der letzten 20 bis 30 Jahre. Die Präsidenten vor Putin waren für Russland die Hölle. Natürlich hat Gorbatschow hier für die Wiedervereinigung gesorgt. In Russland selbst haben die Menschen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aber Armut gelitten. Meine Eltern haben ihren Job verloren, ihr Geld, alles, was sie hatten. Sie mussten ihr Heimatland, was sie lieben, verlassen. Und irgendwann kam Putin und hat alles wieder aufgebaut, Russland Ansehen und Wohlstand verliehen. Und das ist, was meine Eltern sehen und deswegen bewundern sie Putin. Das ist ein unglaublich emotionales Thema und genau deswegen werden sie auch immer verteidigen, was er tut. Meine Eltern denken, dass Putin Russland vor der NATO beschützen will, dass die NATO den Krieg provoziert hat, dass viele Russen durch Ukrainer sterben und dass die USA einen Stellvertreterkrieg führen will. Sie denken, dass Putin Gutes tut.

ZEITjUNG: Hat das Thema schon zu Konfrontationen bei euch zuhause geführt?

Milena: Ja (lacht). Immer, wenn ich das Thema anspreche eigentlich. Ich sage halt nur ein Wort und kann nicht weiterreden, kriege sofort Kontra. Es gehe hier doch um mein Land und ich sei ja so deutsch geworden. Ich sage dann immer, dass, nur weil ich einen Politiker in einem Land nicht unterstütze, das nicht heißt, dass ich meine Herkunft kritisiere. Ich liebe Russland, die russische Kultur und wie ich aufgewachsen bin. Mit manchen Werten kann ich mich nur nicht identifizieren. Es ist sehr schwierig zu diskutieren. Aber wie auch? Wenn sie ihr ganzes Leben lang nur die Nachrichten von einem Land konsumiert haben. Das ist halt Propaganda.

ZEITjUNG: Gibt es Punkte, in denen du deine Eltern verstehen kannst?

Milena: Ich kann nachvollziehen, wieso sie so denken, aber ich verstehe es nicht. Meine Eltern kriegen alles ja nur von den russischen Nachrichten mit. Deswegen und aufgrund ihrer Herkunft kann ich ihre Punkte nachvollziehen. Naatürlich macht es irgendwo Sinn, dass man sich in Russland von der NATO bedroht fühlt. Es gibt auch ein paar Dinge, die ich wie sie sehe. Zum Beispiel die Sanktionen gegen Russland. Das bringt keinem etwas. Ich finde es auch nicht gut, dass ich das Gefühl habe, dass auch hier in den Medien alles etwas einseitig dargestellt wird. Alles wird eingeteilt in „Die Guten und die Bösen“. Der ganze Konflikt und seine Ursachen sind aber so viel komplizierter. Auch die USA ist nicht immer gut und hat sicherlich nicht alles richtig gemacht.

ZEITjUNG: Gibt es eine Lösung für dich?

Milena: Für mich ist die Lösung, einfach nicht mehr darüber zu sprechen. Es bringt einfach nichts, wir streiten nur. Mit meiner Mutter rede ich noch eher darüber, die ist nicht so politisch. Wie gesagt, das Thema ist sehr emotional.

ZEITjUNG: Danke, dass du trotzdem mit uns darüber gesprochen hast!

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Bildquelle: Plato Terentev von Pexels; CC0-Lizenz