Seitenwechsel: Zwischen Anteilnahme und Ablenkung

In seiner Kolumne Seitenwechsel betrachtet unser Autor Paul aus einer politischen und kulturellen Perspektive die aktuelle Welt des Sports. Er blickt dabei weit über die Faszination des reinen Wettkampfes hinaus: Vom kommerzialisierten Profisport, über ehrenamtliche Vereinsarbeit, bis hin zum Fußballstammtisch in der Kneipe zieht er Rückschlüsse auf gesamtgesellschaftliche Phänomene, geprägt von seinen eigenen Erfahrungen.

Für die erste Ausgabe einer Kolumne kann man sich eine Reihe spannender und interessanter Themen vorstellen und vor allem auch durchaus erfreulichere. Doch auch in der Welt des Sports kommt man in diesen Tagen um den Krieg in der Ukraine nicht herum – zu Recht. Unabhängig von Sportart und Land sind verschiedenste Reaktionen spürbar und auf den ersten Blick einstimmig. Doch die Grenzen zwischen Anteilnahme, Solidarität, Bestrafung, Ignoranz und Ablenkung sind fließend.

So langsam schien durch das Abklingen der Corona-Pandemie wieder der Normalzustand einzukehren in der Welt und ganz besonders auf den Sportplätzen und in den Stadien. Ungezügelte Freude und gemeinsames Spaß haben, war fast wieder möglich wie vor der Pandemie. Doch das Gegenteil ist aktuell der Fall. Zwar werden die Zuschauerbeschränkungen stetig gelockert, doch ein Krieg mitten in Europa sorgt für eine beklemmende Atmosphäre. Herrschte vor ein paar Wochen noch Totenstille auf Grund von Geisterspielen, bestimmt nun zunächst die Schweigeminute die Stimmung im Stadion. Einmal dabei gewesen, wird einem klar, dass diese Stille eine weitaus tragischere ist als die der Geisterspiele – echte Totenstille.

Auch während des Spiels kann man sich nicht wirklich frei machen von dem Leid wenige Kilometer entfernt. Doch es gibt auch Mut machende Ereignisse. Ereignisse, die mir vor Augen führen, dass der Wunsch nach Freiheit und nach Mitgefühl fast überall überwiegt. Auf fast jedem Sportplatz und bei jedem Wettkampf werden Trauerflor getragen, sind ukrainische Flaggen zu sehen, Plakate gegen den Krieg oder T-Shirts mit Appellen gegen Putin. Man denke beispielsweise an die emotionale Begegnung der beiden ukrainischen Fußballer Zinchenko und Mykolenko – wohlgemerkt aus gegnerischen Teams – die sich vor dem Spiel zu Tränen gerührt in den Armen liegen, während das gesamte Stadion gebührend applaudiert. Solche Ereignisse sind emotionaler und vor allem bedeutsamer als jedes Tor meiner Lieblingsmannschaft. Das ist eine Erkenntnis, welche mir die letzten Tage mehr denn je geliefert haben: Sportliche Wettkämpfe und insbesondere der Fußball sind meine größte Leidenschaft. Aber es gibt andere Themen, die doch um ein Vielfaches tragischer und wichtiger sind.