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Selbstversuch: Ein Tag bei Scientology

Mitleid mit den manipulierten Mitgliedern

Auf verwirrende Weise macht es Sinn, was mir da erzählt wird. Trotzdem habe ich kein Aha-Erlebnis, sondern eher ein anderes, überraschendes Empfinden: Mitleid. Die Frau, die ich auf circa 65 Jahre schätze, wirkt sympathisch und viel zurückhaltender, als ich es von einer Scientologin erwartet hätte. Und trotzdem spricht der reine Wahnsinn aus ihr, das ist Gehirnwäsche, die einem Psychokult gleichkommt. Wie konnte sie da nur rein geraten?  „Aber ich verstehe noch nicht so ganz, wie sich die negativen Einflüsse genau beseitigen lassen“, sage ich schließlich. Sie überlegt kurz und meint dann: „Vielleicht sollten wir da noch ein bisschen früher ansetzen. Komm mal mit.“

Sie führt mich zu einem Gerät, das an einen Lügendetektor erinnert. E-Meter heißt es, und kommt mir in Zusammenhang mit Scientology sehr wohl bekannt vor. Die Scientologin drückt mir zwei an das E-Meter angeschlossene Elektroden in die Hände und erklärt, dass mit diesem Gerät die negativen Einflüsse, die auf mich einwirken, festgestellt werden können: Je weiter der Zeiger auf dem Parameter nach rechts ausschlägt, desto mehr haben in dem Moment schlechte Energien auf mich eingewirkt. Somit kann ihrer Meinung nach auf psychische Zustände geschlossen werden. Das E-Meter hält sie in den Händen, als sie mich darauf vorbereitet, dass sie mich gleich kneifen wird.

Natürlich schießt der Zeiger kurz nach dem leichten Zwicken in meinem Arm nach rechts. Anschließend soll ich an ein gravierend schlechtes Ereignis in meinem Leben denken. Doch auf die Schnelle fällt mir nichts ein – und außerdem möchte ich sehen, was passiert, wenn ich es nicht tue. Der Zeiger bewegt sich trotzdem leicht nach rechts, was sie als die negative Energie bewertet, die mich bei dem Gedanken an das Erlebnis erfasste. Ich gebe mich beeindruckt und denke gleichzeitig, dass ich gut verstehen kann, wieso das Gerät wissenschaftlich nicht anerkannt wird.

Die Geheimwaffe der Scientologen

Anschließend nehmen wir das Gespräch wieder auf und kommen zu dem nächsten Thema, das mich brennend interessiert: Auditing. Mit dieser Methode soll es nämlich zu schaffen sein, die negativen Einflüsse abzuwehren. Das Wort wird von dem Lateinischen „audire“ abgeleitet und heißt so viel wie „zuhören“. Dabei sitzen sich Auditor und Pendant also einfach nur gegenüber, während der Auditor zuhört und versucht, Schlüsse aus dem Gehörten zu ziehen. Dabei werden natürlich vor allem negative Erlebnisse an die Oberfläche gekehrt – von diesen soll der zu Auditierende schließlich befreit werden.

An diesem Punkt gesellt sich eine zweite Scientologin zu uns – und sie entspricht nun exakt dem Bild, das ich von einem Mitglied dieser Sekte im Kopf hatte. Sie trägt ein auffällig schickes Damenkostüm und sprüht nur so vor Selbstbewusstsein und Energie. Fast schon irritierend durchdringend blickt sie mich an. Als sie ihre Kollegin prompt unterbricht und fragt, wieviel Zeit ich denn noch habe, fühle ich mich ein wenig in die Ecke getrieben. Leichte Panik erfasst mich – diese Frage und all die Aufmerksamkeit, die mir hier geschenkt wird, wirken nicht gerade, als wäre man bereit, mich in den nächsten Stunden einfach so gehen zu lassen.

„Hätten Sie Lust, noch unseren Persönlichkeitstest auszufüllen?“, fragt sie da auch schon. Und schon weicht das flüchtige Gefühl des Unwohlseins wieder meiner Neugier – von diesem Test habe ich nämlich schon so einiges gehört. Bepackt mit einem Glas Wasser und einem Stift setze ich mich in ein ruhiges Hinterzimmer und mache mich daran, die 200 Fragen auszufüllen. Und obwohl ich weiß, warum ich hier Lina Mühler bin und deshalb manchmal nicht ganz wahrheitsgemäß antworten muss, fühlt sich das irgendwie schlecht an – als würde ich mich selbst belügen. Oft habe ich das Gefühl, eine Frage mindestens dreimal in unterschiedlicher Form zu lesen – zum Beispiel die, ob ich manchmal deprimiert bin. Eine weitere Frage lässt mich besonders stutzen: „Haben Sie bestimmte Ticks, wenn Sie sich besonders konzentrieren wollen, fahren sich zum Beispiel durch die Haare oder kauen an Ihrem Stift?“ Warum beschleicht mich bei dieser Frage das Gefühl, dass jeder sich in irgendeiner Form in diesem Test wiederfindet und dabei den Eindruck gewinnt, schlecht abzuschneiden?

 

Instabil, depressiv, unglücklich – meine labile Persönlichkeit

Kaum bin ich fertig, wertet ein männlicher Scientologe meinen Test am Computer aus. Anschließend erklärt mir die charismatische Scientologin anhand eines ausgedruckten Kurvendiagramms, wie sie meine Persönlichkeit momentan einschätzt. Anscheinend bin ich höchstdepressiv, unglücklich und instabil. Das wundert mich zwar nicht – hinterlässt aber trotzdem ein ungutes Gefühl. Sie erklärt mir, dass ich trotzdem noch nicht verloren bin. Dass ich mit adäquatem Wissensstand wieder glücklich werden kann. Das sind Worthülsen, die mich nicht überraschen – genau das habe ich erwartet.

Als ich schließlich andeute, dass ich langsam los muss, fährt sie nochmal alles auf, um mich endgültig zu ködern. Sie erzählt, dass Scientology sich für Menschenrechte und gegen Drogen einsetzt (schließlich sollen die Menschen abhängig von Scientology sein, nicht von irgendwelchen Drogen), und nennt mir etliche Termine für Auditing-Sitzungen an denen ich teilnehmen kann. Sie betont mehrmals –  schreibt es mir sogar extra auf einen Zettel – dass ich dafür ausgeschlafen erscheinen muss, und 24 Stunden vorher keinen Alkohol oder Medizin zu mir nehmen darf. Übrigens ist nur die erste Auditing-Stunde kostenfrei – schon die zweite kostet, angepasst an des jeweilige Einkommen des Kunden.

Als ich mit etlichen Broschüren unter dem Arm das Gebäude verlasse, habe ich extreme Kopfschmerzen. Mein Gehirn fühlt sich an, wie einmal durcheinander gewirbelt. Ich kann nichts dagegen tun, dass ständige Worte wie „clear“, „reaktiver Verstand“, und „Auditing“ vor meinem geistigen Auge auftauchen – mein Gehirn versucht ganz automatisch, das Gehörte zu verarbeiten und einzuordnen. Deshalb wurmt mich ein Satz, den die ältere Dame von sich gab, als ich sie auf die öffentliche Kritik an Scientology ansprach, ganz besonders: „Die Medien unterstellen uns immer, wir würden Gehirnwäsche betreiben. Aber das stimmt einfach nicht!“ Ach. Was soll das denn sonst gewesen sein, was ihr da mit mir gemacht habt?!, denke ich.

Trotzdem kamen keine der Köderversuche wirklich überraschend. Ich hatte geglaubt, dass Scientologen mittlerweile mit ganz anderen Methoden aufwarten müssen, jetzt, wo die Gesellschaft weitestgehend über sie aufgeklärt ist. Doch dem ist anscheinend nicht so – und das erschreckt mich fast am meisten. Das alarmierende Konzept, beim Menschen immer dann einen Nerv zu treffen, wenn er am Boden ist und keinen Sinn mehr in seinem Leben sieht, scheint noch immer lückenlos auf zu gehen.

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Bildquelle: Cameron Parkins unter CC by 2.0 Lizenz