Selbstversuch: Ein perfekter, nachhaltiger Tag

Wir sollten faire Tage nicht vertagen. Sonst gibt es in Zukunft weder uns, noch die Welt, noch dumme Wortspiele am Anfang von Artikeln. Hier der Versuch, einen komplett nachhaltigen Tag zu leben.

Ich rolle mich aus der Feinbiber-Bettwäsche und stolpere unter die Dusche. Das Wasser ist kalt, das Shampoo fest und verpackungsfrei. Ich schreie kurz, erreiche unerreichte Oktaven, es schäumt, nach anderthalb Minuten bin ich sauber und wach.

So wach, dass ich mir keine Tasse Fairtrade-Kaffee mache. So wach, dass ich das 5.1 Soundsystem nicht anmache, da ich einfach selbst Walking on Sunshine singe, wobei ich mit „Singen“ „Grölen und theatralisch Abzappeln“ meine. Meine Bambus-Zahnbürste dient dabei als hervorragendes Mikrofon und ich bin mir sicher: ich habe Talent und, vor allem, die Nachbarn geweckt.

Ich schnappe mir beschwingt den auffüllbaren Badreiniger, den ich aus einem Putzmittel-Tab gezaubert habe, bringe das Bad zum Blitzen und schrubbe alle Ecken penibelst mit dem Luffaschwamm, aber natürlich erst, nachdem ich vorsorglich die Stoff-Tampons und Naturkosmetik meiner Mitbewohnerin in Sicherheit gebracht habe.

Die Arbeit ist getan, ich klopfe mir stolz auf die mit eigens abgefüllter Sheabutter eingeschmierte Schulter und werde hungrig. Es gelüstet mir nach Sünde, also werfe ich mich in ein erstklassiges Second-Hand-Outfit, schlupfe in meine veganen Sneakers und hole mir einen Cappuccino mit Hafermilch und eine vegane Pistazien-Tarte beim kleinen, inhaber*innengeführten Café um’s Eck. Ich schmatze, stöhne genussvoll und bereue nichts.

Danach mit meinen drei Jutebeuteln und vier ausgespülten Marmeladengläsern in den Unverpackt-Laden. Ich habe den Bus verpasst, das Fahrrad ist gerade kaputt, aber es ist schönes Wetter, ich habe Zeit und der Arsch hat ja nicht deswegen die meisten Muskeln im Körper, damit einem da möglichst viel dran vorbeigehen kann.

Ich genieße das Flanieren, komme an und kaufe, was ich brauche. Enkelgerechtes Bio-Olivenöl, omnomnom! Tomaten und Paprika haben zurzeit keine Saison, aber das ist okay, denn ich werde meine Tränen später mit Spargel trocknen. Auf dem Rückweg schnappe ich mir noch zwei Bücher aus dem Bücherschrank.

Daheim angekommen leere ich den Briefkasten. Ich seufze und setze mich an meinen vor acht Jahren gebraucht gekauften Laptop. Ich überweise von meiner ethischen Nachhaltigkeitsbank mit schlechtem Gewissen meine Ökostrom-Nachzahlung an die lokalen Stadtwerke und lehne mich zurück.

Der Laptop behauptet, es sei 15:30 Uhr, dabei ist es fünf vor zwölf, und das seit Jahren. Doch heute war ein guter Tag; heute war ein Tag, den es noch unendlich mal geben darf und vor allem kann, denke ich. Hoffnung. Bis ich Instagram öffne.

Menschen machen Spritztouren und Motorsport, Menschen bestellen Sushi und Zeug bei Amazon, Menschen machen Müll und Menschen sind stolz darauf. Menschen betreiben ihre als Selbstfindung getarnte Flucht nicht im Schwarzwald oder der Nordsee, sondern in Kambodscha oder Indonesien. Menschen essen Fleisch und kaufen bei Primark, Menschen ist es ständig zu kalt und zu warm, aber leider meistens egal.

Ich lege mich traurig aufs Sofa. Ich bin zu schwach, jetzt nochmal Walking on Sunshine zu singen.

Aber morgen wieder. Irgendjemand muss es ja tun.

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Bildquelle: Unsplash, CCO-Lizenz