Social Media: Durch den Shitstorm mit Bochum Total

Holla, die Waldfee: „Außerordentlich bescheuert von ahnungslosen Politikern“, und „da brauchen wir auch so eine parlamentarische Klugscheißerei überhaupt gar nicht“, sagte der Chef der Deutschen Polizei Gewerkschaft Rainer Wendt bei N24, nachdem Renate Künast kurz nach dem Terroranschlag bei Würzburg getwittert hatte: „Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden???? Fragen!“ Das gab ein Donnerwetter. Dabei war der letzte Shitstorm erst letzten Donnerstag durch Bochum gezogen. Er wütete durchs Internet und über dem Festival Bochum Total. Die Veranstalter hatten „ein paar gut gemeinte Infos und Tipps für unsere arabisch sprechenden Gäste“ gepostet, auf Arabisch und auf Deutsch übersetzt. Leider waren diese Tipps mehr gut gemeint als gut gemacht, denn es wurde arabischen Gästen erklärt, dass sie Frauen nicht anbaggern sollen, auch wenn sie wenig Kleidung trügen. Dass viel Alkohol getrunken werde und das alles hier so üblich sei; die deutsche Art zu feiern eben. Autsch. Veranstalter Marcus Gloria erklärt gegenüber ZEITjUNG, dass es sein Fehler war, das Problem bei diesem Post nicht vorab erkannt zu haben und entschuldigt sich dafür.

Dieses Problem war, dass dieser Appell sich zunächst ausschließlich auf die arabisch sprechenden Gäste bezog. Das war rassistisch, weil eine bestimmte Gruppe von Menschen es demnach besonders nötig hat, über solche Selbstverständlichkeiten aufgeklärt zu werden. Gloria hat sich am Freitag auch auf Facebook dafür entschuldigt. Und auch glaubhaft im Interview mit ZEITjUNG: „Ich bin erschüttert, ich bin sehr traurig, dass ich andere Menschen verletzt habe und ich entschuldige mich ohne Wenn und Aber dafür“. Da war das Kind aber schon in den Brunnen gefallen. Und dieser Brunnen ist im Internet ziemlich schnell ziemlich tief. Er entwickelt einen sogstarken Strudel, der unerbittlich wirbelt – immer in der Überzeugung, die Wahrheit zu kennen und so legitimiert zu sein, auch selbst mitzumischen – bevor man die Hintergründe kennt.

 

Wie kam es zu diesem Post?

 

Marcus Gloria und ein befreundeter libanesischer Flüchtling haben die Idee zu dem Hinweis in einem vor dem Festival geführten Gespräch entwickelt. „Der ist Anfang 20, seit paar Jahren in Deutschland, Eltern selber totgeschossen auf der Flucht“, erzählt Gloria mit leichtem Ruhrpott-Dialekt. „Er hat hier seine Heimat gefunden und arbeitet als Sozialarbeiter selbst mit jungen Flüchtlingen zusammen, die schwer traumatisiert aus Gebieten kommen, in denen Vergewaltigung, Mord und Totschlag an der Tagesordnung sind – Lichtjahre entfernt allein vom Gedanken an Gleichberechtigungsdiskussionen, die wir hier führen können.“ Dieser Junge hat den Text verfasst und ihn auch seinen Freunden, Bekannten und den Jugendlichen, die er betreut, vorab gezeigt, „dort kam er gut an und die Leute fanden ihn auch hilfreich“. Aus dieser Perspektive kann man eher verstehen, wie und warum der Post zustande kam.

So losgelöst aus diesem Entstehungskontext und der dahinter stehenden guten Absicht der Bochum-Total-Macher aber muss man die „Tipps“ als Sonderbehandlung arabischer Gäste begreifen. Die ist nicht gerechtfertigt, dagegen richtete sich der Protest im Social Web und in klassischen Medien wie der WAZ. Auch einige der Bands, die eigentlich hätten spielen sollen und wollten, protestierten. Einige haben deswegen ihren Auftritt bei Bochum Total sogar kurzfristig abgesagt, die Band Radio Havanna spendeten ihre Gage an Pro Asyl. Sie wollten sich von dem Post distanzieren.

Die Jungs von Astairre sagten ebenfalls ab. „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und nicht nur von Flüchtlingen“, erklären sie gegenüber ZEITjUNG. „Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die kein Wasser auf ihrer Mühle haben sollten: AfD, Pegida und Co. Bei den Kommentaren dazu bemerkt man aber eine leichte Zustimmung, einen Man-wird-doch-nochmal-sagen-dürfen-Schwall. Sowas ist gefährlich und grenzwertig – da gehen bei uns alle Alarmglocken an, denn das ist Verharmlosungs-Rhetorik erster Güte. Hier muss man aufpassen, gerade heute bei dem angespannten Diskurs zum Thema Flüchtlinge im Land“.

 

Der zweite Fehler

 

Nun stellt sich heraus, dass Astairre und Bochum Total eigentlich die gleiche Auffassung beim Thema Flüchtlinge vertreten. Trotzdem sind sie so aufeinander geprallt. Gloria versuchte sich am Donnerstag an einer Erklärung des Posts. Die war aber wieder missverständlich für Außenstehende, sodass die Kacke weiter dampfte. Danach war für Astairre klar, dass sie nicht auftreten würden: „Es hätte ein vehementer Widerspruch kommen müssen – und zwar gleich. Man muss das öffentlich machen, vor allem, weil andere Leute sonst mitzündeln. Sonst kann das als Legitimierung für all die, die systematisch versuchen, öffentliche Plattformen für ihren patriotischen Mist zu nutzen, missbraucht werden.“ Gloria verweist hingegen fast schon ein bisschen verzweifelt aufs Programmheft, wo seit Jahren schon der während des Sturms geforderte allgemeine Appell zur Sicherheit aller Besucher enthalten ist. Das interessiert aber niemanden, wenn alle gerade fleißig am Draufhauen sind.

 

Was lernen wir daraus?

 

Wir alle sind Menschen. Wir alle machen mal einen Fehler. Falls also mal ein Fehler passiert, dann sollte man ihn sofort klar so benennen und dazu stehen. Damit ist die Sache im Normalfall durch. Der Trollmob im Internet erlaubt aber keine Fehler, die Hater werden immer gleich am Start sein. Beim Kommentieren sollten wir deshalb mal nicht die ersten sein wollen, sondern die, die am meisten nachgedacht haben. Ansonsten hilft das, was immer schon geholfen hat: Miteinander reden, statt übereinander.

 

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Bildquelle: Mike Lowe unter CC 2.0 Lizenz