Plädoyer für das Sich-Selbst-Geil-Finden

Dieser Text stammt von Anna Teufel. Sie ist Poetryslammerin und Autorin des Buches „Schimmer“.

Oh Fuck

An guten Tagen schaue ich mich im Spiegel an und bezeichne in Gedanken alle als dumm, die bei diesem Anblick nicht sofort den Wunsch hegen, mit mir in die Kiste zu steigen. Ich schaue mich an, strecke die Brust raus, und das Beste ist, ich steh ja direkt vor mir und kann das, was da im Spiegel so absurd schön aussieht, direkt anfassen. An guten Tagen stelle ich fest, dass meine Haut ganz arg entsetzlich furchtbar doll weich ist und ich frage mich, wie eine Haut so gottgleich weich sein kann, wie, und ich fasse meinen Arsch an, stelle fest, dass er riesengroß und weich und schwabbelig ist und das ist mehr als wunderbar, das ist eine Ansammlung der perfektesten Anzahl Fettzellen der Welt und Bindegewebe, göttliches Bindegewebe, wenn man es anfasst, dann schmiegt es sich vertraulich zurück und umarmt Hände und tröstet in tröstlichen Situationen, es ist schön, dass mein Arsch da ist, mein Gott ist das schön, oh fuck.

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An guten Tagen traue ich mich fast nicht, Lippenstift zu tragen, da sich sonst alle neben mir hässlich fühlen würden, und meistens trage ich dann doch welchen, aus Trotz, weil sich sonst auch kaum jemand Gedanken darüber macht, ob man heute zu sexy für das Selbstbewusstsein anderer Menschen ist oder nicht. Es macht mir vor allem Spaß, meine Unterlippe zu schminken, weil die viel größer ist als meine Oberlippe und weich und man kann gut drauf beißen und dann beiße ich drauf und schau in den Spiegel und freu mich und wische mir hinterher den Lippenstift vom Zahn, aber das war es wert, ich wische mir gerne den Lippenstift vom Zahn an solchen Tagen, oh fuck, an guten Tagen trage ich trotzdem Lippenstift, ohne Rücksicht.

An guten Tagen suche ich überall Spiegel, wo ich bin, weil ich nicht genug von meinem Anblick bekommen kann; ich schaue mich im Schaufenster an, das ist ein echt schönes Schaufenster, solange ich davor stehe, ich liebe vorbeifahrende Straßenbahnen, weil ich in den Türen zu sehen bin, ich mache Selfies an guten Tagen, viele Selfies, um das festzuhalten für die Nachwelt und für mich, damit ich an weniger guten Tagen die Selfies anschauen kann, um aus weniger guten Tagen wieder gute Tage zu machen, oh fuck, Selfies helfen für gute Tage.

An guten Tagen flirte ich mit allem, was nicht schnell genug wegrennt. Ich flirte mit meinem Versicherungsvertreter, mit dem jungen Vater in der Bahn, mit der Studentin im Wartezimmer, mit meinem Mitbewohner, mit dem Mitbewohner meines Cousins, mit dem Freund des Mitbewohners meines Cousins und vor allem mit dessen Freundin; ich flirte und bin rotzfrech und keiner flirtet nicht zurück, ich bin eine gute Flirterin an guten Tagen, oh fuck.

An guten Tagen habe ich Sex mit mir selbst, denn das ist sowieso der Beste, weil ich genau weiß, was ich mag und es niemandem erklären muss. Wenn ich mit mir selbst Sex habe, muss ich nicht irgendwelche Finger aus meiner Muschi ziehen, die da gerade planlos herumstochern und wühlen und meinen, dass das geil ist, Himmel nochmal, wie kommt man auf die Idee, dass das geil sein kann, ich muss nicht stöhnen, weil ich niemandes Ego befriedigen muss, nur mein eigenes, an guten Tagen habe ich sehr guten Sex mit mir selbst und was soll ich sagen? Fuck, was bin ich gut im Bett!

An guten Tagen stelle ich meinen außerordentlich guten Modegeschmack fest und wühle mich durch meine Kleiderstange und erfreue mich an allem, was ich in die Finger bekomme, weil alles, was ich da hängen habe, habe ich mal selbst gekauft, das meiste zwar auf Flohmärkten, aber auf ausgesprochen guten Flohmärkten mit einer hervorragenden Qualität und scheiße noch eins, sind meine Klamotten toll, ich kann alles davon tragen, wirklich alles, und alles steht mir, verdammt, hab ich einen guten Geschmack, oh fuck, an guten Tagen trage ich alle meine Klamotten mit Stolz.

An guten Tagen bin ich mehr als ich selbst und ich zeige mich her, weil ich stolz auf mich bin. An guten Tagen konzentriere ich mich auf meine Stärken und auf das, was ich kann und bin und warum und warum nicht und warum überhaupt und warum bin ich eigentlich ein so doll angenehmer und sympathischer Mensch und meistens so unglaublich bescheiden. An guten Tagen bin ich gut. An guten Tagen bin ich gut zu der Welt und die Welt ist gut zu mir.
An guten Tagen genieße ich mich.
Jeder Tag sollte ein guter Tag sein.

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Bildquellen: Unsplash; CCO-Lizenz