Versteckte Zerstörung: Die wahren Kosten unseres Papierverbrauchs

Deutschland gehört zu den größten Papierverbrauchern der Welt. Das hat teils drastische Folgen für Wälder, Klima und Menschen im globalen Süden.

Wie wir mit Papier umgehen, ist ein riesen Hebel für den Wald – und damit sowohl Klima- als auch Arten­schutz. Berührt also zugleich drei unserer planetaren Grenzen. Und sorgt – was noch zu wenig bekannt ist – für bessere Lebensbedingungen vieler Menschen, vor allem im globalen Süden. Rund 40 % der weltweiten industriellen Holzernte landen in Papierprodukten. Und während über die Hälfte der Weltbevölkerung nicht genug Papier hat für grundlegende Bedürfnisse an Hygiene, Bildung und Kommunikation, gehören wir in Deutschland zu den vier größten Verbrauchern, sowohl pro Kopf als auch in absoluten Zahlen nach China, USA und Japan. Heißt, wir können eine Menge tun! Doch schauen wir zunächst auf die Folgen unseres hohen Papierverbrauchs, dessen Holz laut Robin Wood nur zu etwa 17 % aus unseren eigenen Wäldern stammt und zu über 80 % aus verschiedenen Regionen der Erde importiert wird.

Ökologische und soziale Folgen der Papierherstellung

Ein Großteil unseres Papierholzes kommt aus Skandinavien, d.h. Schweden un­d Finnland. Dort dominiert eine intensive industrielle Forstwirtschaft. In Schweden gelten nur 10 % der wirtschaftlich nutzbaren Wälder als halbwegs naturnah. Aufgrund der starken Abholzung verlieren beide Länder massiv an CO2-Speicherkapazi­tät.

Erfolgreich propagieren Lobbygruppen Holz als nachwachsenden Rohstoff. Doch in welchen Zeiträumen? Eine Fichte als typischer Baum für die Papierherstellung braucht rund 70 Jahre, bis sie nachwächst. Klima- und Artenschutz zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen müssen aber sofort erfolgen. Waldexpert*innen von Unis und Umweltverbänden empfehlen, möglichst viel Biomasse im Wald zu belassen, nicht nur als CO2-Speicher, sondern auch als Schutz vor Hitze und Trockenheit durch Schatten, Feuchtigkeit, Kühlung und ein gesundes Waldinnenklima. Und für die Biodiversität, die zugleich die Fähigkeit von Ökosystemen erhöht, sich an Umweltveränderungen wie die Klimakrise anzupassen. In Skandinavien ist die Hälfte aller auf den roten Listen als bedroht eingestuften Tier- und Pflanzenarten auf den Wald als Lebensraum angewiesen.

Auswirkungen in Südamerika

Auch aus Südamerika erreicht uns viel Holz für unseren Papierverbrauch, vor allem aus Brasilien, Chile und Uruguay. Dort dehnen sich riesige Plantagen mit schnellwachsenden Eukalyptusbäumen immer weiter aus. Häufig auf Flächen, die Bauernfamilien seit Generationen bewirtschaften, ihr Gemüse und Getreide anbauen, Tiere halten. Meist haben sie keine offiziellen Besitzurkunden und werden unter teils schweren Menschenrechts­verletzungen von ihrem Land vertrieben. Viele landen dann verarmt in den Slums der Städte. Außerdem belasten die Monokulturen mit hohem Düngemittel- und Pestizideinsatz Böden und Gewässer, Obstbäume gehen ein, Fische verenden. Auch das gefährdet die Existenzgrundlagen lokaler und indigener Gemeinschaften, die ohnehin schon am stärksten unter der Klimakrise leiden. Die Einheimischen nennen die Plantagen „grüne Wüsten“, ­denn Eukalyptus benötigt, um schon nach 5 bis 7 Jahren geerntet zu werden, enorme Mengen Wasser, was in den ohnehin trockenen Gegenden den Grundwasserspiegel senkt und Quellen versiegen lässt.

Eine weitere Folge sind schwere Brände, wie in den vergangenen Jahren in Chile oder 2017 mit über 60 Toten in Portugal, woher uns viele Büropapiere erreichen. „Brandgefährlich: Unsere Papierverschwendung“ titelte eine ARD-Dokumentation. Auch die Arbeitsbedingungen auf industriellen Baumplantagen im globalen Süden sind strapaziös und gefährlich: Bis zu 60 Arbeitsstunden pro Woche führen zu Stress und chronischer Übermüdung, es mangelt an Schutzausrüstung und Training im Umgang mit Kettensägen und Chemikalien, Verletzungs- und Krankheitsraten sind hoch, Unfälle häufig ernst, auch tödlich. Auch so sehen kaum bekannte Konsequenzen unbedachten Papierkonsums aus.

Zur Lösung beitragen: Runter mit dem Verbrauch!

Kurzlebige Papierverpackungen lassen sich durch Mehrwegvarianten ersetzen, ob durch Mitnahme von Tasche, Rucksack, Brot- und Lunch-Box, eigenem Becher oder indem wir bei Internetbestellungen auf öko-faire Unternehmen wie memo setzen. Deren Recyclingkunststoff-Box erreicht bereits über 250 Umläufe, ist mit dem Blauen Engel sowie diversen Preisen ausgezeichnet und zeigt, wie Zukunft im Versandhandel geht. Die Kosten für den Rücktransport übernimmt memo selbst, aus Engagement.

Digital statt analog

Ist die Werbeflut Euch auch ein Ärgernis? Dann bremst sie durch Eintrag in die „Robinsonliste“, Bitte um Streichen aus Verteilern und Aufkleber „Keine Werbung und kostenlosen Zeitungen“, wenn man auch diese nicht haben möchte. Beim Drucken und Kopieren sorgt die Duplex-Voreinstellung für die Nutzung beider Seiten und mit einer A4-Box lassen sich Fehldrucke sammeln für Notizzettel oder -blöcke. PDF und QR-Code machen Print-Versionen überflüssig von Programmheften, Broschüren oder Berichten, Eintritts- und Fahrkarten gehen direkt aufs Handy.

Um auch bei digitalen Alternativen den Fußabdruck zu minimieren, empfiehlt das Umweltbundesamt auf die Langlebigkeit der Endgeräte zu achten, denn die Hauptbelastung entsteht bei der Herstellung, nicht im Betrieb. Hier punkten Second Hand und Refurbished bzw. bei Neukauf öko und fair / Blauer Engel, modularer Aufbau und Reparierfreundlichkeit, Gewähr langfristiger Updates wie es z. B. Fairphone und Shift ermöglichen, sowie Entrümpeln von Daten, schlanke Dateien und natürlich Ökostrom.

Auch Hygienepapiere lassen sich einsparen durch Wahl textiler Alternativen wie Stofflappen und -taschen­tücher. Auf jeden Fall sollte hier 100 % Recycling konsequent Kriterium sein, da sonst die wertvollen Holzfasern – mindestens 25 Mal im Papier wiederverwendbar – nach nur einmaliger Nutzung unwiederbringlich verloren gehen, über Kanalisation bzw. Restmüll.

Recycling ist top

Laut neuester Ökobilanz des Umweltbundesamtes spart Recycling- gegenüber Primärfaserpapier im Schnitt fast 70 % Energie, rund 80 % Wasser und sogar nahezu 90 % Abwasserbelastung. Chemikalieneinsatz, Emissionen und Abfallaufkommen sind deutlich reduziert und – am wichtigsten: Das Holz verbleibt im Wald, Waldökosysteme werden entlastet.

Orientierung im „Siegel-Dschungel“ schaffen Umweltverbän­de und Verbraucherzentrale – beim Papier ist’s eindeutig: Der Blaue Engel ist das mit Abstand stärkste Zeichen. Denn neben 100 % Altpapiereinsatz als wichtigstem Kriterium, gewährleistet der Engel das Verbot kritischer Chemikalien sowie optimale Qualität und Funktionalität, wenn es z. B. um Einsatz an Kopiergeräten geht. Und er verlangt mindestens 65 % untere und mittlere Altpapiersorten, die den Großteil des gesammelten Altpapiers ausmachen, während bessere Sorten teils importiert werden müssen. Nur wenn sich im Ausnahmefall keine Produkte mit Blauem Engel finden, was z. B. bei Papierservietten vorkommen kann, sollte man auf FSC Recycled ausweichen. Alle anderen Siegel – ob FSC Mix, EU und Nordic Ecolabel oder das von keinem der großen Umweltverbände anerkannte PEFC – stehen nicht für den Einsatz von Altpapier, sondern kennzeichnen in der Regel reine Primärfaserprodukte.

Grau sind Recyclingpapiere übrigens längst nicht mehr! Ein leichter Beige- oder Naturton steht für verstärkten Einsatz unterer Altpapiersorten und signalisiert Umweltbewusstsein gleich auf den ersten Blick.

Andere zum Mitmachen gewinnen

Unsere digitale Ausstellung „Zukunftsfähig mit Papier“ motiviert dazu, sich wirkungsvoll für Wald-, Klima, Artenschutz, Menschen und Tiere einzusetzen. Wir freuen uns, wenn Ihr sie weiterempfehlt!

Für eine grundsätzliche Ressourcenwende

Deutschland benötigt drei Erden im Jahr, so wie wir derzeit leben. Deshalb müssen wir dringend runter von Materialschlacht und Konsum im Übermaß, die Übernutzung und Zerstörung von Natur beenden. Und der fixen Idee, stetes Wachstum sei möglich auf einem begrenzten Planeten, beherzt entgegentreten. Gemeinsam möchten wir die notwendige Verbrauchsreduktion stärker in den öffentlichen und politischen Diskurs tragen: nicht als Verzichtsdebatte, sondern als Absage an ein gewinn- und wachstums­orientiertes Wirtschaftssystem, das auf Überkonsum, Verschwendung und Wegwerfen setzt; und als große Chance für Entschleunigung, Entrümpelung, Entkommerzialisierung und ein gutes Leben für alle im globalen Maßstab.

Evelyn Schönheit ist Diplom-Umweltwissenschaftlerin und freiberufliche Expertin beim Forum Ökologie & Papier. Sie setzt sich seit vielen Jahren für Waldschutz, Klimagerechtigkeit, Artenvielfalt und Menschenrechte ein und schwört auf Suffizienz, eine Kultur des Genug.

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Bild: Vecteezy; CC0-Lizenz