Wie es ist, die andere Frau zu sein
von Maxine Jung
„Was du nicht weißt, kann dich nicht verletzen.“ – Diese „Weisheit“, nein eher diese Aneinanderreihung beschämender Worthülsen, die nichts anderes innehaben als Verlogenheit, bekomme ich hoffentlich nie wieder zu hören. Und wenn doch, dann will ich losrennen und mich nicht mehr von „Liebesgesten“, „Gefühlsschwafelei“ und Millionen an Entschuldigungen einlullen lassen. Entschuldigungen sind nichts, was man mal eben so daher sagt, man kann sie nicht aussprechen und dem Gegenüber zwei Tage später wieder ein Messer in den Fuß rammen.
Ich habe Scheiße gebaut. Nämlich eine Affäre mit einem Arbeitskollegen begonnen, der dazu noch vergeben war.
Der Rausch des Verbotenen
Am Anfang gibt es da diesen Rausch, den klitzekleinen Nervenkitzel, der wohl in jedem von uns irgendwo schlummert, wenn auch in der hintersten Ecke. Und irgendwann geht dann die Bombe hoch, viel zu lange hat sie vielleicht schon getickt. Der Rausch schlägt in ganz miese Gewissensbisse um, in Ekel, in Bauchschmerzen. Ich wollte das nicht mehr sein, die zweite Frau von einem Typen, der seine Erste hintergeht. Mit mir.
Oder? Ist sie denn noch die Erste? Kann ich vielleicht die Erste sein? Statt das Zerstörte, was die Bombe hinterlassen hat, das, was dem Erdboden gleich gemacht wurde, abzutransportieren, versuchte ich aus Staub neue Steine zu formen. Vergeblich. Denn zu versuchen, aus einer Affäre eine Beziehung aufzubauen, ist wohl genauso dämlich, wie bei minus 10 Grad in Hotpans einen Spaziergang zu machen. Warm wird es einem damit nicht.
„Wir sind nicht mehr zusammen…“
Dieser Satz. Er ist so klischeehaft, klassisch, was auch immer. Aber wenn das verdammte Herz in der Sache steckt, ist das alles egal. Leider. Ich glaube, dass der Mensch die Dinge perfektioniert. Ich verliebte mich noch mehr in die Idee, dass es was ernstes, ehrliches, normales werden kann. Eine Beziehung eben. Aus den leeren Worthülsen und Lügen konnten keine Taten resultieren, die diese Bilderbuch-Beziehung, die ich mir wünschte, möglich machen würden. Aber das hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht geschnallt. Er auch nicht. „Wir sind nicht mehr zusammen“, war der Startschuss, um mich immer weiter selbst in die Scheiße zu katapultieren.
Eine Kettenreaktion
Die Kette der Lügengeschichten, die er mir auftischte, schien nie zu enden. Aber wie kann denn ein Mensch auch denken, dass etwas, das auf einer Lüge basierte, irgendwann in einer aufrichtigen Beziehung hätte münden können? „Jetzt ernte, was du gesät hast.“ „Du musst die Suppe auslöffeln, die du dir eingebrockt hast.“ – Sätze, die die Oma meiner Oma schon gepredigt hat. Sorry Leute, aber sie fallen leider nicht unter die Kategorie „inhaltslose Worthülsen“.
Ich kann ja nicht zurück, kann die Ausgangslage nicht umkehren, nichts ungeschehen machen, dachte ich mir ständig. Schluss machen? „Ja, unbedingt!“, sagte mir die Vernunft. Und dann grätschte das Herz dazwischen und nach ein paar Tagen, vielleicht längstens Wochen, war ich wieder da. Zurück bei ihm. Immer und immer wieder und zwar ganze sechs Mal. Dabei wohnte er die ganze Zeit über weiterhin bei seiner (Ex-)Freundin. Der Gedanke fraß mich auf.
Seine (Ex-)Freundin lügt er vielleicht an, aber mich doch nicht
B U L L S H I T. Wir flogen zusammen in den Urlaub, es hatte eigentlich nur noch gefehlt, dass ich die Pro und Contra Argumente zuvor einer wissenschaftlichen Analyse unterzogen hätte, eine Studie durchführte, dass mir zeigen sollte, dass er mich mal wieder hatte im Regen stehen lassen. Ich war nur „eine gute Freundin“, der er mal seine Heimat zeigen wollte. Dass ich nur das war, erfuhr ich aber leider nicht von ihm, sondern von seiner (Ex-)Freundin selbst. Jep, das war wohl das unangenehmste Gespräch meines Lebens. Im Erdboden versinken zu wollen hatte an jenem Tag eine neue Dimension angenommen. Ich erinnere mich an die Worte einer Freundin, mit der ich an jenem Tag viel zu viel Gin Tonic gekippt hatte: „Du schreibst ihm später bestimmt sowieso wieder.“ – „Nein, auf keinen Fall!“ oder so ähnlich. Wie toll, dass die Whatsapp-Sperr-Funktion wieder rückgängig gemacht werden kann und man auf besoffenem Kopf ja sowieso nur noch mehr Müll anstellt.
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„Diesmal wirklich!“
Aus Januar wurde dann irgendwann September, Oktober? Ich weiß es nicht mehr. Die On-Off-„Beziehung“ schien ständig Höhepunkte zu erreichen, aber heißt das nicht, dass es darüber nichts mehr gibt? Ich brach diese Regel, und zwar ständig. Ich stellte alles infrage. Wenn er mir erzählte, wo er war, glaubte ich ihm nicht. Die kleinsten Sachen konnten ja schon Lügen darstellen. Der Versuch, die bedingungslose Wahrheit zu erfahren, das Spiel, das er gespielt hatte, bis ins kleinste Detail zu durchblicken. Unmöglich. Wenn ich Freunden erzählte, dass ich wieder mit ihm Schluss gemacht hatte, hing ich bereits ein „Diesmal wirklich.“ an. Ich kam mir lächerlich vor, aber irgendwann musste es doch mal klappen, oder?
Neue Wohnung, Neues Glück?
Mit Mühe und Not hatte er nach acht (!) Monaten seine eigenen vier Wände gefunden. Ja, es gab bis hierher tatsächlich immer wieder kurzen Phasen des vermeintlichen Glücks. Optimistisch muss man sein! Und „Normalität“ hieß das kunstvolle Wort, nach dem ich mich schon lange sehnte. „Respekt“ war das, was ich ihm gegenüber längst verloren hatte und aus der Achterbahn, in der ich schon seit fast einem Jahr ununterbrochen fuhr, hatte ich schon zu oft im hohen Bogen herausgekotzt. Aber hey, jetzt hast du eine Wohnung und wir können es nochmal versuchen. Darauf habe ich so lange gewartet.
Ein Tag – Ein Schlussstrich
Natürlich ging der Versuch nach hinten los. Eines Sonntagmorgen kam ich in seine Wohnung. Wir hatten sie zusammen gestrichen, uns über Farben gestritten, aber das Werk war fast vollbracht. Nur fiel mir diesmal auf, dass etwas anders war. Meine Socken lagen nicht mehr an ihrem Ort, mein Oberteil hatte sich wie durch Zauberhand von der Couch wegbewegt, mein Waschgel im Bad fehlte – nur die Zahnbürste – die hatte er vergessen wegzuräumen. Ich wurde aus seiner Wohnung eliminiert, ohne physisch da zu sein. Eine innere Wut schoss in mir hoch. Ich konnte spüren, wie sie sich langsam ihren Weg nach oben bahnte. Wieder. Ich stellte ihn zur Rede. Einen Abend zuvor hatte es eine kleine Feier anlässlich des Geburtstages seines Kumpels gegeben. In seiner neuen Wohnung. Sie war auch da. Sie sollte nicht sehen, dass ich jetzt Teil seines Lebens sein sollte. Aber die vergessene Zahnbürste, die hat sie gesehen.
Wenn du vor Wut mit Gegenständen durch die Wohnung wirfst, glaube mir, dann ist es schon längst zu spät.
Nach einem ausgiebigen Gespräch mit meinem Vater, der den Braten sofort roch, dauerte es ungefähr zwei Minuten, in denen ich tränenübersät in die Wohnung meines (Ex-)Freundes stürmte, meine Sachen griff und ging. Auch ihm entwich eine Träne, wir hatten versagt, und das war gut so.
„Was du nicht weißt, kann dich nicht verletzen.“