Bilder: Wolfskinder – allein in der Wildnis

Die Kindheit ist die schönste Zeit im Leben. Wir müssen uns noch keine Gedanken um Miete, Steuern oder Karriere machen und wachsen behütet im Kreise unser Liebsten zu kleinen Erwachsenen heran.

Doch nicht alle erleben so eine Kindheit. Es gibt auch Ausnahmen. Kinder, die abseits unserer Gesellschaft groß werden. Das wohl bekannteste unter ihnen ist Mowgli. Der kleine indische Junge, der von einem Bären und einem Panther im Dschungel großgezogen wird. Doch diese Kindergeschichte gibt es auch im normalen Leben. Jedoch mit weitaus weniger Gesang. Wolfskinder nennt man die Kleinen, die von Tieren in der Wildnis großgezogen werden. Ihre Geschichten faszinieren uns, da wir uns solch ein Leben schlichtweg nicht vorstellen können.

Doch nicht nur wir sind fasziniert von ihnen. Auch Julia Fullerton Battens Interesse wurde geweckt. Die Fotografin veröffentlichte die Fotoserie „Feral Children“. Auf ihren atemberaubenden und irgendwie bedrückenden Bildern stellt sie Geschichten nach, die so wirklich passiert sind. Abgebildet sind Kinder und Jugendliche, die aus unterschiedlichsten Gründen in der wilden Natur gelandet sind, und dort mit Tieren zusammen lebten. Wir haben ihr einige Fragen zu ihren Bildern gestellt:

 

ZEITjUNG: Was hat dich inspiriert die Serie von den Wolfskindern nachzustellen?

Julia Fullerton Batten: Die Inspiration für mein Projekt kam mir, als ich die sehr bewegende und persönliche Geschichte von Marina Chapman gelesen habe, die ich später dann auch portraitiert habe. Sie lebt jetzt in Nord England, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Ich hatte die Möglichkeit sie zu treffen und mit ihr über ihre Erfahrungen zu sprechen. Sie wurde als Fünfjährige entführt und dann aus unbekannten Gründen im kolumbianischen Dschungel ausgesetzt. Dort hat sie dann fünf Jahre lang in der Gesellschaft von Kapuzineraffen gelebt, bis sie gefunden wurde.

Motiviert von dieser Geschichte habe ich angefangen nach weiteren Fällen zu suchen. Ich bin auf eine Menge ähnlicher Fälle gestoßen, manche sind Jahrhunderte alt. Der gemeinsame Punkt aller Fälle ist immer, dass sie isoliert von menschlichem Kontakt gelebt haben, häufig von einem sehr jungen Alter an. Manche wurden von ihren Eltern verstoßen, vielleicht wegen intellektueller oder körperlicher Beeinträchtigungen, sind von Zuhause weggerannt oder vor dem Krieg geflohen. Sie wurden in den meisten Fällen von wilden Tieren „adoptiert“. Die Kinder haben die Überlebensaktivitäten der Tiere gelernt und deren Sozialverhalten übernommen. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Kinder trotz menschlichem Kontakt verwahrlosten, wie zum Beispiel Genie. Sie wurde von ihrem Vater 15 Jahre lang an einen Kinderstuhl gefesselt.

Man weiß bis heute nur von diesen Fällen, weil die Kinder überlebt haben. Es ist unklar, wie viele weitere Wolfskinder es gab, die in der Natur verendet sind. Ich als Mutter bin fasziniert und geschockt davon, wie Kinder unter solchen Umständen und mit wilden Tieren überleben können.

 

Wie hast du diese Kinder gefunden, manche Geschichten sind so lang her, und manche so aktuell?

Ich habe meine Recherche sehr intensiv online betrieben und einige Bücher gelesen. Außerdem hat mir Mary-Ann Ochota geholfen. Eine Anthropologin, die mit drei überlebenden Wolfskindern gesprochen hat.

 

Welche Geschichte hat dich am meisten inspiriert?

Ich bin von allen Geschichten sehr fasziniert, aber am schlimmsten getroffen hat mich wirklich Genies Geschichte, die für so lange an diesen Stuhl gefesselt war. Die Vorstellung ist grausam. An dem Tag als ihr Vater, der ihr das angetan hatte, vor Gericht aussagen sollte, hat er Selbstmord begangen und hinterließ eine Nachricht: „Warum wurde ich so missverstanden?“

 

Was willst du mit dieser Serie ausdrücken?

Es ist sehr gut möglich, dass solche Situationen auch heutzutage passieren. So ähnlich geht es ja auch den Kindern, die vor dem Krieg z.B. in Syrien fliehen. Oder die Schulmädchen, die in Nigeria entführt wurden. Ich will ein öffentliches Bewusstsein schaffen, was überall auf der Welt passiert, aber auch bei uns um die Ecke. So kann man die Kinder vor weiteren Geschehnissen bewahren.