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Hassobjekt: Der Silvester-Party Druck

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es denZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten ab sofort immer montags in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: „Der Silvester-Party Druck“.

Von Anna Fiedler

Kaum ist der Sommer vorbei, die Unterhemden eingemottet und die Adiletten nur noch vor dem Fernseher in Aktion, fängt die punschgeschwängerte Zeit des Jahres an. Ab Ende August gibt es nicht nur endlich Spekulatius und Lebkuchen in allen Supermärkten zu kaufen –  auch Silvester steht wieder vor der Tür. Und nichts stresst so sehr, wie die ab Mitte des Jahres am meisten gestellte Frage, was denn an Silvester so auf dem Plan stehe.

 

Fear of missing out

 

Keine Fete wird so heiß diskutiert wie die des neuen Jahres. Und selbst die entspanntesten Zeitgenossen unter uns packt regelmäßig gegen Ende des Jahres diese Angst des Verpassen – salopp fremdsprachlich und korrekt abgekürzt: Fomo. Fear of missing out, die Panik, wir könnten am Silvesterabend zwischen all den Parties DIE Party verpassen. Denn 365 Tage enden ja schließlich nur einmal im Jahr und fangen dementsprechend auch nur einmal neu an. Da darf man nicht nur zwischen Chipsletten und Discounter-Luftschlangen zuhause rumsitzen. Da muss man es so richtig krachen lassen. Den Spaß des Jahres haben. Schließlich müssen die Anekdoten dieses Abends dann vorerst für ein ganzes Jahr reichen, denn das restliche Jahr sind Parties einfach zu anstrengend.

Die Bandbreite an Möglichkeiten, den Abend des Jahres zu verbringen, ist enorm. Hatte nicht Kathi etwas von einer abgefahrenen Hausparty erzählt, eine fette Sause mit viel billigem Bier und Knutschen um Mitternacht?! Oh, und war da nicht noch etwas im Berghain, diese berühmte Butze, in der man für eine ganze Woche lang feiern kann, vorher aber drei Tage anstehen muss und gegebenenfalls noch zwei Monatsgehälter hinblättern muss? Abgefahren! Oder wie wäre es mit diesem schicken Empfang, bei dem es schlechtes Essen und schlechte Getränke zum Preis eines Kleinwagens gibt und bei dem man seine Würde nach dem dritten Neujahrssekt so oder so abgibt? Hört sich gut an. Für die verschneite Skihütte mit der Gruppe Pärchen, die sonst witzige Spielabende und freitägliche Bowlingsessions veranstalten, ist es leider zu spät. Zu lange wollte man sich alle Möglichkeiten offen halten.

Der Klassiker, die Silvesternacht frierend in einer riesigen, unangenehm alkoholisierten Menge auf einem bekannten Platz in einer Großstadt zu verbringen, fällt natürlich weg. Denn für sowas ist man dann ja doch zu cool – dort findet sich nur die breite Masse. Mainstream-Feierei mit Barbara aus Hameln ist nichts für die jungen Leute. Dann doch lieber alleine zuhause mit der Katze auf dem Sofa feiern. Das Neujahrsprogramm im Fernsehen ist eindeutig abgefahrener als zu anderen Zeiten. Und wer Fenster hat, der kann sich auch entspannt das Freudenfeuer angucken. Und Anti ist ja wohl auch das neue Cool.

 

Die Nacht der Nächte muss perfekt sein

 

Hat man sich einmal entschieden für eine Party, ist der Druck groß, die Erwartungen hoch. Die Nacht aller Nächte muss perfekt sein, nichts darf schief gehen und wenn doch, dann ist das ein Omen für das, was da kommen mag im neuen Jahr. Wer jedoch schon einmal in einer größeren Stadt Silvester gefeiert hat und in den Genuss gekommen ist, ein Körperteil oder das Gehör durch gut platzierte Feuerwerkskörper und selbst gebastelte Bomben im Tarnmantel der „Night Fever“-Familienpackung zu verlieren, der weiß – dieser Abend ist kein Spaß. Dieser Abend bedeutet Krieg. Krieg auf den Straßen und im Kopf. Ein Konflikt, der schon seit Jahren schwelt und nicht zu beheben ist. David gegen Goliath. Paillettenkleid gegen Stretchhose.

Und trotz der diversen unterschiedlichen Möglichkeiten ist Silvester jedes Jahr immer wieder eines: ein Dilemma. Eine große Nerverei, der man es nicht Recht machen kann und die uns immer wieder, alle 365 Tage aufs Neue enttäuscht. Es gibt eben nicht den ultimativen Abend, erst Recht nicht, wenn er so sorgfältig geplant und durchdacht wird wie hierzulande. Und mal ganz im Ernst: was ist denn schon zu verpassen bis auf Sekt, der sonst nur in roten Kleidern an Bahnsteigen getrunken werden darf, und klebrigen Küssen von fremden Menschen um Mitternacht?! Nichts. Wirklich nicht.