„Fair Play“ im Sport – Wann ist Doping die Spitzen-Disziplin geworden?
Von Katharina Schuster
Aus der Ferne ist das Lachen und Quietschen von tobenden Kinderhorden schon deutlich zu hören. Hier gilt: Nicht immer der Nase nach, sondern den Ohren. Vor dem maroden Eingangstor der Turnhalle des kleinen Vorstadtturnvereins steht Stefan Müller (Name abgeändert), der erste Vorstandsvorsitzende des Vereins. Er ist heute aus besonderem Anlass in die Kinderturnstunde gekommen. Eine neue Trainerin soll ihren Vertrag erhalten, in dem unter anderem eine angemessene Aufwandsentschädigung für ihr ehrenamtliches Engagement aufgeführt wird. Der Sport scheint auf diesem Fleck Erde noch in Ordnung zu sein.
Aber wie sieht der Sport außerhalb des behüteten Turnverein-Universums aus?
Vor kurzem wurde die Spitzensportreform verabschiedet, die „Sportdeutschland“ auf lange Sicht wieder mehr Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften bringen soll. Aussichtsreiche Verbände und Disziplinen sollen dabei mehr und eher perspektivlose weniger Geld erhalten. Wird hier das negative Image des Sports dadurch nur weiter befeuert?
Müller plagen schon lange Sorgen. Sorgen um das Image im Sport, um das Ehrenamt und extreme Probleme mit der Nachbesetzung in der Führungsetage: „Wir wissen nicht woran es liegt, aber wir finden schon seit Jahren keine Nachfolge für unseren Vorstandsvorsitz“, erklärt er. „Ich denke, dass der Imageverlust im Sport einen Teil dazu beiträgt“, fügt er hinzu. Keine Frage, der Sport büßt an Glaubwürdigkeit ein. Doping ist nicht nur länger Gegenstand von Radrennen – und Korruption in der FIFA scheint zum Tagesgeschäft geworden zu sein. Die Fassade des Sports bröckelt an allen Seiten. Negativschlagzeilen bestimmen die sportpolitischen Seiten. Das geht bis an die Basis hinunter und zerrt natürlich an den Nerven der Sportfunktionäre.
Steckt in der Krise auch eine Chance?
Einer ihrer wichtigsten ist Alfons Hörmann. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) sprach auf der DOSB-Mitgliederversammlung 2015 unter Beifall der Zuhörer ein flächendeckendes Problem an: „Wir kommen an einen Punkt, wo wir uns selbst fast nicht mehr getrauen, uns als Sportfunktionär zu outen“. Der 55-Jährige sieht in der Krise aber vor allem eine Chance: Er fordert ein „Innehalten und selbstkritisches Nachdenken“.
Anfang Dezember dieses Jahres, auf der 13. DOSB-Mitgliederversammlung in Magdeburg, stand vor allem die lang diskutierte Spitzensportreform im Vordergrund. Die DOSB-Mitglieder stimmten dem umstrittenen Konzept, auf das sich DOSB und das Bundesinnenministerium nach jahrelanger Vorarbeit geeinigt haben, mit überwältigender Mehrheit zu. Es gab nur eine Gegenstimme.
Zustimmung fand die Reform auch bei Fabian Hambüchen. Der Reck-Olympiasieger begrüßte die Reform, forderte aber einen stärkeren Dialog mit den Sportlern. „Die Funktionäre brauchen die Sicht der Athleten. Es reicht nicht, wenn man nur zwischen DOSB und BMI verhandelt, wie man Gelder einsetzt“, sagte der Turner dem Weser Kurier und äußerte auch Bedenken: „Weniger Erfolge, also weniger Förderung – dann wird es schwierig. Es wird bestimmt nicht besser, wenn sie den Schwimmern in Zukunft weniger Förderung geben“.
Zwickmühle für die cleanen Sportler
Neben den Sportfunktionären erleben die Sportler Rückschläge. In einer besonderen Zwickmühle sind vor allem die, die in sogenannten cleanen Sportarten trainieren. Janine Kohlmann ist eine davon. Nach ihrem starken zweiten Platz bei den Spanish Open in Barcelona bereitete sich die Fünfkämpferin auf die Qualifikation für Rio vor. Heute schwingt die angehende Polizeikommissarin das Florett. Sie liebt ihren Sport, das sieht man ihr an. Wird sie auf Doping angesprochen, verfinstert sich ihre Miene: „Doping ist selbst bei uns öfter ein Gesprächsthema, gerade weil man andere Mannschaften verdächtigt, gedopt zu haben“, sagt sie.
Enttäuschend ist für sie vor allem, dass das Vertrauen der Zuschauer verloren geht: „Natürlich schadet Doping dem Profisport“. Sie kämpft häufig mit Sprüchen wie „die nehmen doch eh alle was“. Janine Kohlmann fühlt sich dann ungerecht behandelt: „In Deutschland ist das Dopingsystem schon krass geregelt. Wir nehmen selbst peinliche Urinkontrollen unter Aufsicht wahr“, erzählt sie. Begeistert ist Janine Kohlmann von Robert Harting. Der Olympiasieger im Diskuswurf kämpft seit langem dafür, dass Länder, die sich keine Labore und Testräume leisten können, aus einem internationalen Anti-Doping-Fonds schöpfen können.
Vorbilder für die jungen Kinder mit Sportler-Träumen
Stefan Müller hat sich inzwischen mit der neuen Trainerin auf einer Sportbank niedergelassen: „Super, dass du so motiviert und gewissenhaft bei der Sache bist“, erklärt er. Die Turnstunde sei für die Kinder etwas besonderes und für die Trainerin ein Orientierungspunkt.
Müller spricht hier von einer Vorbildfunktion, die die neue junge Mitarbeiterin als Trainerin für die Kinder innehat. „Vielleicht sollte man die großen Sportfunktionäre mal in unseren Verein schicken“, schlägt er mit einem Schmunzeln vor und wird dann grundsätzlich: „Die Glaubwürdigkeitskrise im Sport ist eine Krise um eine schlichte moralische Grundhaltung, um das Prinzip auf dem der gesamte Sport aufbaut: Fair Play. Das ist der Wert im Sport, der über die bloße Einhaltung von Regeln hinausgeht und vorgelebt werden muss“, sagt er und verschwindet zwischen den Turnaufbauten.
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