Salomé Balthus lehnt in schwarzem Oberteil mit zurückgegelten Haaren an einem Kissen mit einem Sofa im Hintergrund

15 Fragen, 15 Antworten: Sexarbeiterin Salomé Balthus im Interview

WAS SAGST DU IN SO EINER SITUATION? 

 Oft erzähle ich, dass es einen Unterschied gibt zwischen Dingen, die man tun möchte und Dingen, die man sich nur vorstellen möchte. In der Sprache kann man ja eine Welt erschaffen. Man kann Szenen erschaffen, ohne dass man etwas dafür tun müsste, beispielsweise Inszenierungen von Gewalt.  

Was hat sich durch die Corona-Krise an deiner Arbeit geändert und inwiefern hat Sprache dadurch ihren Stellenwert verändert?  

Meine Art der Dienstleistung ist ja eine, bei der ich mich in einer sehr hygienischen Umgebung zu zweit mit einzelnen Menschen treffe. Deshalb muss sich da nichts ändern. Das ist ja auch offiziell erlaubt worden. Aber es gab natürlich die Angst, dass man nicht wusste wie lange dieses Verbot anhält. Und deshalb haben wir angefangen, Telefonsex anzubieten.  

Wie kann man sich das vorstellen?  

Wir wollten das natürlich nicht so machen, wie man es kennt, Hotline, Gebühren die pro Minute anfallen und peinlichem Rumgestöhne in der Leitung, das nicht authentisch ist. Wir bieten unseren Kund*innen das, was wir auch sonst bieten: ein entspanntes Gespräch zu zweit, indem man sich aufmerksam zuhört und gegenseitig auf schöne Gedanken bringt. Nur dass man sich dabei nicht anfassen darf. Da hat dann jeder ein Getränk, z.B. ein Glas Wein dabei und man unterhält sich und stimuliert sich eben rein geistig. Es ist einerseits furchtbar traurig, weil man sich dann gern anfassen würde und am Telefon sagt man dann: “Wenn du jetzt da wärst, würde ich das und das tun”. Das Problem war nur, dass die meisten eben nicht allein zuhause waren, sondern mit ihren Familien.  

Nochmal zum Thema sexuelle Gewaltfantasien: Wie häufig wirst du Damit oder sexueller Gewalt in der Sprache konfrontiert und was empfindest du als solche?  

Meistens bringe ich das selbst ins Spiel. Wirklich häufig, denn ich empfinde das als ausgesprochen stimulierend, eben weil es eine Inszenierung ist. Mit Gewalt im Sinne von einer echten Drohung oder einer abwertenden Sprache von der Kund*innenseite komme ich zum Glück selten in Berührung. Auch deswegen, weil ich in dem Moment die volle Kontrolle habe und die Verabredung deshalb beendet wäre, wenn sich jemand danebenbenimmt. Oft spiele ich mit diesen Themen. Das ist eine der typischsten Fantasien und sehr tief im menschlichen Unterbewusstsein verankert.

Welche Art von Formulierung siehst du als (sexuelle) Gewalt dir gegenüber?  

Ich würde es als Gewalt sehen, wenn jemand anfängt mich abzuwerten. Wenn jemand infrage stellt, ob der Preis angemessen ist. Wenn jemand nicht mit meinen Bedingungen einverstanden ist. Oder auch wenn jemand meinen echten Namen benutzen möchte, weil er nicht die Fantasie- oder Kunstfigur möchte, sondern mich selbst. Das empfinde ich als gewalttätigen Übergriff, wenn jemand Liebe kaufen möchte und Anspruch auf mein Privatleben erhebt.   

Wie oft passiert dir das?  

Leider sehr oft. Circa jedes 3. Mal, also doch schon sehr häufig. Den Menschen ist auch nicht bewusst, dass sie damit Gewalt ausüben und das was Negatives ist. Viele glauben, dass sie mir damit ein Riesenkompliment machen. Aber das ist nicht der Fall.  

Beeinflusst dein Job wie du über Sex sprichst?  

Sicher. Gerade dadurch, dass Leute wissen, dass ich das mache, halte ich mich sonst im Leben sehr zurück und versuche, möglichst nicht vulgär zu sein und nur Dinge anzudeuten. Bei dem was ich bin und mache denken die meisten Leute schon so viel, dass ich mich eigentlich sehr zurückhalten kann und muss, damit es nicht vulgär wird.   

Fühlst du dich in eine Schublade gesteckt durch deine Arbeit?  

Natürlich. Auch ohne das. Aber dagegen kann man nichts tun. Ich stecke mich ja auch in eine Schublade. Ich habe nichts gegen Schubladen oder Ordnung. Nicht umsonst hat Marie Kondo so viel Erfolg. Menschen räumen gerne auf und haben es gerne übersichtlich. Unser Denken funktioniert so. Es wäre lächerlich zu sagen, ich möchte nicht in Schubladen gesteckt werden. Ich möchte nur die Schublade ein bisschen verändern, vergrößern, anpassen. In meiner Schublade erkläre ich den Leuten, was das eigentlich bedeutet.  

Salomé Balthus lehnt in schwarzem Oberteil mit zurückgegelten Haaren an einem Kissen mit einem Sofa im Hintergrund
hanna lakomy

Was meinst du damit?  

Ich spiele ja auch damit. Ich breche gerne Erwartungen, ich weiß man steckt mich in die Schublade “Prostituierte”. Die Menschen fragen sich dann: “Vielleicht nimmt sie Drogen, vielleicht ist sie von jemandem abhängig, vielleicht hat sie einen Zuhälter oder ist sie einfach dauergeil?”. Und da bin ich dann anders, als sie eigentlich denken und sich vorstellen können und das macht mir Riesenspaß diese Erwartungen zu enttäuschen. 

Gibt es noch irgendetwas, was du gerne hinzufügen würdest?   

Wenn junge Menschen überlegen, ob sie Sexarbeiter*innen werden wollen würde ich allen den Tipp geben, damit zumindest zu warten bis man 25 ist. Denn auch wenn man selbst keine Vorurteile hat, das Stigma ist real. Und auch wenn ich mich darüber lustig mache, es betrifft mich. Und nicht jede*r ist in der Situation, dass er*sie damit umgehen kann. Wenn man sich diesen Stempel einmal abholt, kriegt man ihn nie wieder los.  

Wie sollten Wir idealerweise über Prostitution sprechen?  

Mit Ehrfurcht und Hochachtung. Und Sympathie.  



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Bildquelle: Copyright by Uwe Hauth, Berlin