Gefühlskater und Depression
Augenringe, der Geschmack von hartnäckigem Restethanol im Mund und das Brummen im Kopf, das nicht leiser werden will: Nicht gerade überraschende Nachwirkungen einer durchzechten Nacht sind das, die sich da melden. Verkatert am nächsten Morgen aufzuwachen, ist – ehrlich gesagt – ziemlich beschissen. Wenn sich die Welt um einen herum dreht, ist es aber nicht immer nur unser Körper, der mit dem Gift zu kämpfen hat, das wir in uns hineingeschüttet haben. Der schlimmste Tag im Jahr 2019 war bisher wohl für viele der 1. Januar. Der für die meisten von uns bestimmt gar nicht existiert hat, weil er in horizontaler Lage auf der Couch stattfand. Dieses verkaterte Selbstmitleid, dass uns ans Bett fesselt und strahlend schöne Tage ungenutzt verstreichen lässt, nervt. Es nervt gewaltig.
Der Kater, der größte Feind der Menschheit. Den ganzen Tag fläzen wir auf unseren Betten herum, stopfen uns mit vom Fett triefendem Essen vom Lieferservice voll und stoßen immer wieder gequält diesen einen, unwahren Satz hervor: „Nie wieder Alkohol!“ Während wir uns also von nachtaktiven zu bettlägerigen Tagmenschen verwandeln, haben wir Zeit, viel Zeit, um über alles nachzudenken. Über unseren Job. Über den Sinn, der dahinter steckt. Über unsere Wohnsituation. Über die verfluchten Nachbarn, die schon wieder die Musikanlage aufgedreht haben. Und auch über die Liebe, egal, ob wir sie gerade haben oder nicht.
Früher war alles besser
„Gefühlskater“ könnte man dieses Phänomen nennen, wenn man am nächsten Tag daliegt und sein komplettes Leben unter die Lupe nimmt. Und zwar nicht aus der positiven, sondern aus der eng begrenzten negativen Sichtweise. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn: Die fünf Gin Tonic am Abend puschen uns so lange durch sämtliche Spaß-Sphären, wie unsere Glücksvorräte im Körper vorhalten. Dann, wenn diese vernichtet wurden, sinkt unsere Laune – und zwar nicht nur in den Keller, sondern meistens gleich noch ein Stockwerk darunter.
Alkohol wirkt eben nicht nur wie ein Beruhigungsmittel, er schüttet zugleich Vorfreude und Angst aus, erklärt Psychiater und Neurologe Andreas Heinz im Spiegel Online Interview. Und bis der Dopamin- und Serotoninspeicher wieder aufgefüllt ist, können ein bis zehn Tage vergehen. Eine verdammt lange Zeit, in der man sich aufgrund des Mangels der Botenstoffe in einen depressionsähnlichen Zustand abrutschen kann. Und, weil es so schön ist, gleich noch eine Hiobsbotschaft hinterher: Je älter wir werden, desto hartnäckiger der Kater. Da sich Alkohol in Wasser auflöst und der Anteil von H2O in unseren Körpern nicht wie der weltweite Meeresspiegel steigt, sondern sinkt, verkraften wir die Rauschfolgen immer schlechter. Und plötzlich geht’s uns nicht nur bis zum Mittagessen schlecht, sondern bis zu den späten Abendstunden des Folgetages.
Der Kater der Psyche
Die Nachwirkungen von einer Feier, bei der wir nicht bloß zu tief ins Glas geschaut haben, sondern eher hineingefallen sind, sind von verschiedenen Faktoren abhängig. Davon, ob man sich vorher eine „Grundlage“ angefuttert hat, die eine allzu schnelle Aufnahme von dem ganzen Wein, Bier und sonstigem Spaßgebräu verhindert. Dann das „Zwischenwasser“, das wir trinken sollten, um nicht komplett zu dehydrieren. Und: Sämtliche Vitamin- und Magnesiumtabletten einzuschmeißen, bevor wir uns ins Bett verfrachten, soll ebenfalls helfen – wenn man halt nur immer daran denken würde.
Aber das sind alles nur Präventionen, die auf den Kater auf der physischen Ebene gemünzt sind. Und wenn wir in unserem Delirium nicht mehr im Stande sind, vorbeugende Maßnahmen durchzuziehen, dann kommt er: der Gefühlskater, die Sonntagsdepression. Der Zustand, in dem sowohl unser Körper als auch unser Geist zu schwach sind, sich gegen die großen Fragen des Lebens zu wehren. Gegen die Zweifel, die Unzufriedenheit, gegen unverdaute, schlechte Erfahrungen, gegen die Erinnerungen an Fehler, die man gemacht hat.
(K)Eine Generation von Weicheiern!
Verkatert am nächsten Tag aufzuwachen, ist scheiße – ja. Aber die ganze Zeit in aufgebauschtem Selbstmitleid dahinzuvegetieren auch. Nüchtern schleudern wir jedem unsere stressbezogene Jammerei entgegen – ob das der Gegenüber nun hören will, oder nicht. Unseren eigenen hektischen Alltag zu fabrizieren und uns ständig mit den großen Fragen des Lebens zu quälen, scheint das Merkmal unserer Generation zu sein. Aber das nervt.
Die miesen Gedanken, die sich wegen des Alkohols, Schlafentzugs und unserer erschöpften Vorräte an Botenstoffen in unsere Köpfe schleichen können, können wir vielleicht nicht verhindern. Aber wir können sie zusammenpacken und in eine Ecke für später stellen. Es reicht doch schon, wenn unser Körper kurz vorm Abkratzen ist. Da müssen wir nicht auch noch unser ganzes Leben – das, nüchtern betrachtet, doch gar nicht so mies ist – in Frage stellen. Wenn wir den Tag schon in horizontaler Form verbringen müssen, dann doch wenigstens mit positiven Gedanken. Dann geht’s uns zwar körperlich gesehen immer noch beschissen – der Verzicht auf die gedankliche Selbstgeißelung jedoch würde uns diese dunklen Tage um einiges leichter machen. Bis zu dem Punkt, an dem unsere Glücksvorräte wieder aufgefüllt und wir nüchtern genug sind, uns unseren Problemen zu stellen.