Lachen Kultur Shitstorms

Shitstorms: Was, wenn wir bald nichts mehr zu Lachen haben?

Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, muss mit allem rechnen. Das war schon immer so. Aber heute ist es dort draußen besonders stürmisch. Der Shitstorm lauert überall. Man hat sich daran gewöhnt, dass jeden Tag eine andere Person medial im Wind steht. Teils zurecht, teils zu unrecht. Mal gewollt, meist ungewollt.

2015 starteten Joko und Klaas bei Circus Halli Galli das Spiel „Shitstorm Roulette“. Es war eine geplante Eskalation. Die Gäste Caroline Herfurth und Palina Rojinski posteten gemeinsam mit den Moderatoren Dinge wie „8,50€ Mindestlohn??? Bin ich froh, dass ich mit dem Scheiß nichts zu tun habe.“ Wenige Stunden später löste die ausgestrahlte Sendung auf, dass es sich um einen Scherz gehandelt hatte. Einen ziemlich unlustigen. Zu verlieren hatten die Promis nichts.

„Ich habe da richtig in die Fresse bekommen“

 

Anders ist das, wenn man unbewusst in eine solche Situation gerät. Der Comedian Johann König rief mit einem Lied über Burnout, das Teil seines Programms war, heftige Reaktionen hervor: „Ich habe da richtig in die Fresse bekommen auf meiner Facebook-Seite und dachte, wenn ich jetzt rausgehe, werde ich angepöbelt. Ich habe das alles gelesen und es war übelst.“ Der Song ist eigentlich weder musikalisch noch inhaltlich erwähnenswert. Das Fazit: „Ich bin krank, jetzt ist es raus. Aber ich muss nicht unters Messer. Seit ich weiß es ist Burnout, geht’s mir schon viel besser. Reiß mich nicht mehr am Riemen, das ist wirklich toll. Ich lasse mich bedienen und krümel alles voll. Und wenn sie dann wieder hektisch unter meinem Sofa saugt, sage ich: ‚Schatz nicht so laut, ich hab Burnout‘.“

Soweit, so wenig aufregend. Vor allem, wenn man mit in die Rechnung nimmt, dass König zuvor selbst wegen Burnout ein Jahr pausiert hatte. Er wusste also, worüber er witzelte. Wenn so etwas zu einem Shitstorm führt, dann ist die Zündschnur beim Publikum offensichtlich kurz. Ein ähnlicher Fall ist Jan Böhmermann, der letztens mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, er habe im Neo Magazin Royale Lebensmittel verschwendet. Er und Ina Müller hatten sich vom Publikum mit Laugengebäck bewerfen lassen. Das Spiel hieß „Laugendetektor“. Wer eine Frage nicht wahrheitsgemäß beantworte, bekam Laugenstangen an den Kopf. Auch das ist unlustig und maximal unkreativ. Aber für einen Shitstorm reicht es eigentlich nicht. Eigentlich – fand auch Böhmermann und machte sich gleich doppelt darüber lustig (Beef Brothers und Laugensong).

Es muss nicht um Nazis, Ausländer, Homosexuelle, Religion oder ähnlich heikle Themen gehen. Selbst ein paar herumgeworfene Brezen oder ein Satiremagazin mit dem Titel Kot & Köter erregen die digitale Nation. Gerade für den Humor, der dazu da ist, Grenzen zu überschreiten, ist das ein nachhaltiges Problem. Warum? König erzählte in dem erwähnten Interview weiter: „Ich dachte, wenn ich jetzt mal was ganz falsches sage, dann kann es sich auf die Zuschauerzahlen auswirken. Das sagt man sich auch, damit man vorsichtig ist … Weil man den Beruf liebt und blöd wäre, wenn man sich das wegen irgendeiner Dummheit versaut.“

 

Es gibt Grenzen. Verboten ist deshalb aber nicht alles

 

Verständlich ist das, aber sollte das so sein? Harald Schmidt machte Witze über Frauen („Weltfrauentag? Das hieß mal Frühjahrsputz“), Osteuropäerinnen („Russinnen haben den meisten Sex. Klar, die müssen davon leben“), Dicke (Die dicken Kinder von Landau) und überhaupt jeden, der nicht bei drei um die Ecke war. Unterlassungsklagen hatte er einige am Hals. Aber Shitstorms? Nein.

Humor funktioniert durch Vergleiche, Übertreibungen und Regelverletzungen. Klar gibt es Grenzen, keine Frage. Und es ist auch gut, eine aufmerksames Publikum zu haben, das sensibilisiert ist für Grenzüberschreitungen. Aber: Politisch oder sozial anspruchsvolle Auseinandersetzung, die auch noch lustig ist, geht nicht ohne virtuelles Blutvergießen. Auf das nach wie vor bestehende Patriarchat, zunehmendes Übergewicht oder Zwangsprostitution lässt sich nun einmal schwer humorvoll hinweisen, ohne dass man die Botschaft ins Gegenteil verkehrt und überzeichnet. Deshalb ist man noch lange kein Gegner der Frauenbewegung oder Zuhälter.

Wer anspruchsvolleres sehen möchte, als die Slapstick-Clowns Joko und Klaas, die kalkuliert provozierende Posts im Netz hinterlassen, der muss den Humor auch mal Grenzen einreißen lassen. Das bedeutet nicht, dass alles erlaubt ist. In Zeiten sozialer Medien muss man aber wohl darauf Hinweisen, dass auch nicht alles verboten ist. In einem Jahr des Terrors gegen den Humor sowieso.

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Bildquelle: Gonzalo Díaz Fornaro