Bikinis aus Plastik und Verlobung in Griechenland

Als Paar zu Digital Nomads werden und dabei die Umwelt im Blick behalten

Nomadismus mit WLAN

Digital Nomads sind wie auf dem Erdboden laufende Satelliten: Sie umkreisen mehrmals den Globus, sehen die Welt aus einem anderen Blickwinkel als wir Settler und nehmen überall neue Informationen auf, die sie dann mit der Menschheit teilen. Zwar blinken sie uns nicht vom Himmel aus an wie ein wandernder Stern, aber ihre Geschichten und Fotos blitzen immer mal wieder in den sozialen Netzwerken, auf Blogs oder in Magazinen auf – während sie selbst in weiter Ferne die nächsten Eindrücke erleben.

Das ortsunabhängige Leben und Arbeiten hat als größere Bewegung vor circa sieben Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen. Selbstverständlich existieren einige remote Reisende, die seit 15, 20 oder noch mehr Jahren unterwegs sind – und genauso lange schon in Blogs ihre Erfahrungen teilen. Das sind die Väter und Mütter der heute trendenden Influencer:innen. Quasi die Titanen unter den digitalen Nomaden. Zu ihnen gehört zum Beispiel Marysia.

Home is Where the Office is

Einen neuen Touch bekam das remote Leben allerdings durch COVID-19. Die Pandemie war augenöffnend für all diejenigen, die plötzlich im Home-Office oder ortsunabhängig arbeiten mussten. Auf einmal fanden sie sich mit dem Laptop in der Hand auf dem Lieblingsstuhl wieder, in bequemer Position und entspannter Atmosphäre. Viele stellten fest, dass das Arbeiten so irgendwie produktiver und konzentrierter lief. Hinzukam ein schöner, selbstgewählter Ort und mehr Zeit zum bewussten Erleben des Alltags. Könnte das nicht immer so sein?

Das Leben als digital Nomad scheint nur so vor Benefits und Weltendurst zu strotzen. Also, warum gehen nicht viel mehr Leute den Schritt in die Unabhängigkeit? „Viele Menschen haben es einfach anders gelernt. Schule, Ausbildung, Partner finden, dann Haus, Kinder und glücklich in den Ruhestand. Das ist unser lang bewährtes System, eigentlich ein goldener Käfig. Aber daraus auszubrechen, erfordert viel Mut und Loslassen ins Ungewisse.“ erklärt Anika Schweigert, mehrfache Gründerin und digitale Nomadin. „Die Vorstellung, keinen festen Standort zu haben und immer nur unterwegs zu sein, kommt vielen Leuten stressig und beängstigend vor. Das ist aber ein Trugschluss.“

Denn der Digital Nomad Lifestyle bedeutet nicht, rastlos oder wurzellos zu sein. Das beschreiben auch andere remote Worker und Globetrotter:innen. Unter ihnen sind einige solo Slow-Traveller wie Keith. Slow Travel ist eine besonders bewusste, nachhaltige und kulturnahe Form des Reisens. Es wird dabei nicht auf Kilometerstand und Uhr geguckt, sondern auf das authentische Leben vor Ort. Torbjørn C. Pedersen hat sich konkret vorgenommen, jedes Land der Welt zu bereisen, ohne ein einziges Mal ins Flugzeug zu steigen (6 Länder fehlen ihm noch). Menschen wie Keith und Torbjørn ist es wichtiger, den tatsächlichen Spirit von Kulturen zu spüren, als an jedem Touri-Ort ein Foto geknipst zu haben. Beim Reisen ohne Eile, mit großen Augen und Ohren lässt sich im Nachhinein wirklich behaupten, „da“ gewesen zu sein.

Manche digital Nomads kommen öfter an den Ort ihres Ursprungs zurück – mit Absicht sagen wir nicht „nach Hause“, Erklärung folgt. Bekannte Gesichter treffen dort auf vorangeschrittene Persönlichkeiten. „Das Wiedersehen nach langer Zeit ist ein unvergleichlicher Moment. Die Wertschätzung jeder und jedes Einzelnen an dem Tag ist so stark und jeder noch so kleine Moment wird appreciated. Die Zeit am Herkunftsort ist einfach emotional aufgeladen.“ erzählt uns die Modedesignerin, Fotografin und Coachin Anika. Das letzte Mal hat sie Familie und Freunde übrigens gesehen, als ihr Verlobter Tayler die ganze Bande heimlich nach Santorini, Griechenland zum Überraschungs-Antrag eingeladen hat.

„Zuhause“ ist ein Gefühl, kein Ort

Vielleicht kennen es die ein oder anderen: Ihr fahrt zusammen in den Urlaub an einen neuen Ort, wo ihr euch für zwei Wochen in einer hübschen Ferienwohnung einnistet. Am vierten Tag nach Ankunft geht ihr abends etwas in dem Restaurant essen, das ihr beim Spaziergehen am Vortag entdeckt habt. Nach dem Dessert oder Schnaps aufs Haus wird die Stimmung ziemlich müde. Also fragt einer von euch: „Wollen wir bald nach Hause gehen?“. Und so schnell ist der neue Ort zum Zuhause geworden. Das hat nichts mit euren untreuen Seelen, Wurzellosigkeit oder sprachlichen Automatismen zu tun. „Zuhause“ ist ein Gefühl. Der Mensch braucht dafür nicht viel – nur eben ein paar von den wenigen, richtigen Dingen. Anika Schweigert berichtet dazu: „Ich habe es nie so empfunden als hätte ich über die Monate und Jahre on the road kein Zuhause gehabt. Im Gegenteil, ein Zuhause lässt sich überall finden. Wenn das Heimweh aber manchmal doch zu sehr zwickt, schnappe ich mir Smartphone oder Tablet und rufe per Videocall einen meiner Herzensmenschen in Deutschland an. Mit den heutigen digitalen Möglichkeiten ist das alles kein Problem mehr.“ Liebespaare mit Fernbeziehungen im 18. Jahrhundert wären aus der Kutsche gefallen, hätten sie von dieser Technologie erfahren.

Überall ist Home, überall ist Office

Doch der Alltag von Digital Nomads ist nicht nur von A nach B fahren, Orte erkunden und das Ganze im Vlog teilen. Es ist vor allem arbeiten, denn von allein finanziert sich auch ein Lifestyle nicht, der mit weniger auskommt. Ein bekannter digital Nomad Influencer Olumide Gbenro findet in einem Interview 2021 klare Wort dazu: „Die Idee des digitalen Nomadenlebens wird oft romantisiert, aber gerade am Anfang ist die Situation finanziell sehr herausfordernd, wenn du nicht vorbereitet bist. Ich sehe manche Leute in Bali ankommen, die noch immer Probleme haben, ihr Unternehmen aufrecht zu erhalten. Einige von ihnen müssen nach ein paar Monaten wieder nach Hause gehen.“ Ein üblicher Weg für viele digital Nomads führt früher oder später zu einer Publikation. Andere beschäftigen sich damit, online Businesses aufzubauen, zu besitzen und später zu verkaufen. Wieder andere agieren beratend in Unternehmen als „Remote Work Consultants“.

Anika berichtet ähnliches: „Meinen Finanzierungsplan hatte ich von vornerein vor Augen. Sonst wäre es wahrscheinlich auch nicht so gut gelaufen. Man braucht eine solide Einkommensquelle und vorab eine Strategie zur Kundengewinnung, also einen planbaren Funnel. Das kann überfordernd sein. Deswegen teilen wir unser Gelerntes mit anderen Freiheitsliebenden digitalen Nomaden.“ Dazu gehören auch u.a. Beratungen und Masterclasses, um zu lernen, wie man sich unterwegs von überall finanzieren kann.

Was ist dein Fokus auf Reisen?

Es ist zwar immer etwas merkwürdig, Erwachsenen zu sagen, dass sie gut auf sich aufpassen sollen – aber bei einer Weltreise mit one-way-Ticket ist das etwas anderes. Was es heißt, in der weiten Welt auf sich selbst gestellt zu sein, weiß die eigene Travel-Community am besten. Durch den großen Zuwachs hat sich die Bewegung diversifiziert, einzelne digital Nomads haben sich spezialisiert. Somit kann man für den persönlichen Fokus die passenden Expert:innen finden und hilfreiche Ratschläge bekommen. Reisen als Frau und Feministin, People of Color, LGBTQ+IA, korpulente Person, allein – die passende Ansprechperson lässt sich online finden.

„Unseren Fokus als digital Nomads haben wir unterwegs gefunden. An Stränden mit Plastikmüll, an verschmutzten Flüssen, versmogten Städten und vermüllten Stadtteilen bekommt man die Realität ins Gesicht geklatscht. Uns wurde klar: Reisen ist gut und schön, aber nur wenn wir es umweltfreundlich und nachhaltig gestalten.“ Seitdem sind Anika und Tayler bekannt für ihren umweltbewussten Ansatz. Die Mode der ländlich aufgewachsenen Hotel- und Tourismusmanagerin besteht unter anderem aus recyceltem Plastik, das aus dem Ozean gefischt wurde. In ihren Coachings und Beiträgen auf Instagram & Co. erklären sie, wie sie den nachhaltigen Ansatz verfolgen.

Erst Fernbeziehung, dann jeden Tag zusammen

Apropos Liebe. Was Besuchenden der Websites und Profile von Anika und Tayler als erstes auffällt (aber humble von ihnen als letztes angesprochen wird) ist das offenkundige Knistern zwischen den beiden. Wie man es als Paar durch eine Fernbeziehung schafft und es auch remote, unterwegs und als Selbstständige täglich zusammen aushält, erklären die beiden als wahrhaftiges Best Practice Beispiel. Eigentlich würden die Fotos dafür als Beweis schon ausreichen. Wenn etwas authentisch ist, sieht man es eben – die beiden sind in Love.

Bild: Es gibt kaum etwas, dass Anika und Tayler glücklicher macht als gemeinsam die Welt zu bereisen. (lovelifepassport.com)