Fernbeziehung

Fernbeziehungen: Immer nur ein Teil des Lebens des anderen

Einige Menschen, die Fernbeziehungen führen, beteuern immer wieder, dass dieses Konzept bestens für sie geeignet sei. Aber wie erträgt man den Gedanken, immer nur ein kleiner Teil des realen Lebens der anderen Person zu sein?

„Indem man nicht nur ein kleiner Teil ist“, würden Fernbeziehungsfanatiker jetzt wahrscheinlich antworten. Aber bei richtigen Fernbeziehungen lässt sich nun einmal nicht leugnen, dass man nur einen Bruchteil des realen Lebens des Partners beziehungsweise der Partnerin einnimmt.

Eine andere Angelegenheit sind Beziehungen, in denen beide Partner*innen zwar nicht in derselben Stadt wohnen – allerdings auch nicht so weit voneinander entfernt, dass man sich extrem selben sieht. Wenn beispielsweise eine Person in Berlin und die andere Person in Nürnberg wohnt, hat man zumindest theoretisch die Möglichkeit, sich Freitagnachmittag drei Stunden lang in den Zug zu setzen und Sonntagabend wieder drei Stunden lang mit dem Zug zurückzufahren. Man kann sich also theoretisch jedes oder jedes zweite Wochenende sehen. Ob man sich den Stress machen will, ist die andere Frage. Aber ihr versteht, was ich meine.  

Und selbst in solchen Fällen habe ich die Erfahrung gemacht, dass es teilweise schwierig ist, einerseits den*die Partner*in so in das eigene Leben einzubinden, dass es sich auch so anfühlt, als wäre er*sie der präsenteste Teil. Andererseits habe ich es teilweise auch als schwierig empfunden, mich zu fühlen, als wäre ich der präsenteste Teil des Lebens des anderen.

Und das ist, denke ich, auch völlig normal, denn, blicken wir den Tatsachen ins Auge: Man verbringt nun einmal vergleichsweise wenig „reale“ Zeit miteinander. Natürlich kann man auch schreiben, telefonieren oder einen Video-Anruf starten, aber das ist trotzdem nicht dasselbe.

Wenn sich der*die Partner*in spontan mit Freund*innen trifft, kann man nicht einfach mitkommen. Und umgekehrt kann man auch nicht spontan fragen, ob der*die Partner*in nicht Lust hätte, heute Abend mit den eigenen Freund*innen in den Park, in eine Bar oder auf eine Party zu gehen.

Das wiederum hat zur Folge, dass man die Freund*innen der anderen Person nicht so gut kennt und sich möglicherweise nicht so richtig als Teil der Gruppe fühlt. Andersherum kennt der*die Partner*in die eigenen Freund*innen nicht so gut – es sei denn, man entscheidet sich dazu, jede Minute, die einem als Paar bleibt, mit anderen Menschen zu verbringen. Aber wer will das schon, wenn man sich ohnehin vergleichsweise selten sieht?

Also, wie man sieht: Bereits in Fernbeziehungen, in denen die Entfernung gar nicht so riesig ist, kann es schwierig sein. Aber gegen „richtige“ Entfernungen ist die Strecke Berlin-Nürnberg ja ein Witz.

Ich bewundere Menschen, die über einen langen Zeitraum Beziehungen über große Distanzen hinweg führen. Gleichzeitig ist mir gewissermaßen suspekt, wie das funktioniert.

Vielleicht ist es unterschiedlichen Menschen auch einfach unterschiedlich wichtig, möglichst viel „reale“ Zeit mit dem*der Partner*in zu verbringen. Vielleicht fühlen andere Menschen sich auch als präsenter Teil des Lebens der anderen Person, obwohl sie de facto kein real präsenter Teil sind. Oder vielleicht ist es vielen Menschen, die Fernbeziehungen führen, auch gar nicht so wichtig, ein präsenter Teil des Lebens des Partners oder der Partnerin zu sein. Vielleicht sind sie lieber vollkommen ihr eigener Mensch und fühlen sich wohler damit, den*die Partner*in wortwörtlich auf Distanz zu halten.

Letztendlich hat jeder seine Gründe dafür, eine Beziehung zu führen oder sie eben nicht zu führen. Und das ist vollkommen in Ordnung, egal ob andere Menschen es nachvollziehen können oder nicht.

Aber, falls es da draußen noch andere Menschen gibt, die zeitweise mit Distanzen in Beziehungen zu kämpfen haben: Ihr seid nicht die Einzigen.

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Bildquelle: RODNAE Productions via Pexels, CC0-Lizenz