Caterina, 19, ist Bufdine bei der Tafel
Allein im München versorgt der Verein Münchner Tafel e.V. jede Woche über 20.000 bedürftige Menschen. Eine Viertelmillionen Einwohner der bayerischen Landeshauptstadt leben unter oder am Rande der Armutsrisikogrenze. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60% des mittleren Einkommens verdient, das entspricht 2019 etwa 781 Euro pro Kopf. Für viele Menschen, die an der Armutsgrenze leben, ist es nicht möglich, die tägliche Ernährung alleine zu stämmen. Vereine wie die Tafel helfen diesen Menschen. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, dass arm sein, nicht gleich ungesund leben bedeutet. ZEITjUNG hat einen Tag Caterina begleitet. Sie macht derzeit ihren Bundesfreiwilligendienst bei der Tafel in München.
Der Tag startet früh
Unser Morgen beginnt früh. Um 7 Uhr treffen wir uns mit Fahrer Urs und seiner Hündin Vicky am Großmarkt in München. Wir haben heute einiges vor: Lebensmittelspenden abholen, zurück nach München fahren und an das Lager der Münchner Tafel abgeben. Die Kollegen verstauen die Lebensmittel dann, fahren sie an die Ausgabestellen und verteilen sie dort an die Gäste der Tafel. Also düsen wir los zu einem Logistikunternehmen, wo die erste Lebensmittelspende auf uns wartet. „Wir bekommen ausschließlich einwandfreie Ware“, stellt Caterina gleich zu Beginn klar, „Viele denken bei der Tafel an abgelaufene Lebensmittel in schlechtem Zustand, aber das stimmt nicht.“
Deutschlandweit aktuell 40.000 Bufdis
Die 19-Jährige ist seit einem halben Jahr bei der Tafel dabei. Zuerst hat sie sich dort ehrenamtlich engagiert, dann entschied sie sich, gleich ihren Bundesfreiwilligendienst vor Ort zu beginnen. „Viele meiner Freunde wussten gar nicht genau, was die Tafel ist. Und auch nicht, dass ein Bufdi dort überhaupt möglich ist.“ Deutschlandweit sind aktuell über 40.000 Menschen in einem Bundesfreiwilligendienst engagiert (Stand März 2019). Davon sind fast 30.000 unter 27 Jahre alt.
Bei unserem ersten Stop holen wir mehrere Paletten Käse ab. „Das ist eine super Spende für uns, denn wir hatten seit einem Dreiviertel Jahr eine echte Knappheit an Käseprodukten“, sagt Fahrer Urs. Er ist bei der Tafel für die Warenakquisition zuständig. Grundsätzlich sei die Versorgung aber gut. „Natürlich gibt es Phasen, in denen wir Knappheiten an bestimmten Produkten haben, dafür gibt es manchmal sogar einen Überschuss.“
800 Mitarbeiter versorgen um die 20.000 Gäste jede Woche aufs Neue. „Viele Familien, aber auch eine große Zahl an Senioren sind unter den Gästen“, sagt Caterina. Damit wirklich auch diejenigen Hilfe bekommen, die sie am dringendsten benötigen, müssen alle Gäste nachweisen können, dass ihnen nach Abzug der Miete und den Mietnebenkosten weniger als 409 Euro im Monat zum Leben bleiben. Dann gibt es einen Berechtigungsschein, der Lebensmittelspenden gestattet.
Tafeln auf Industriespenden angewiesen
Nach einer weiteren Stunde haben wir unseren nächsten Stop erreicht. Ein Hersteller von Biolebensmittel spendet wöchentlich an die Tafel. Heute nehmen wir mehrere Paletten Tortellini und Feta mit. Die Tafeln in Deutschland sind auf die sogenannten Industriespenden angewiesen. Sie spenden in großem Umfang vollkommen einwandfreie Ware. „Das ist für uns immer schön. Denn bei manchen anderen Spendern lassen sie uns ab und zu im Müll rumwühlen und einzelne, noch verwertbare Lebensmittel rausfischen. Da fragen wir uns schon manchmal wie überhaupt jemand auf die Idee kommt, diese Lebensmittel könnte irgendjemand noch gebrauchen“, berichtet Caterina von ihren Erfahrungen. Dass die Industrie sich so spendabel zeigt vor allem zwei Gründe, erläutert Urs. „Zum Einen gibt es die überzeugten Spender, die gerne helfen und uns ihre Lebensmittel überlassen. Zum Anderen haben die Unternehmen aber auch den Vorteil, dass sie sich nicht um die Vernichtung der Lebensmittel kümmern müssen, wenn sie diese stattdessen an uns spenden. Für uns sind die Gründe letztendlich egal, solange sie überhaupt an uns spenden und die Lebensmittel Qualität haben.“ Qualität bei der Tafel bedeutet originalverpackt, ungeöffnet und innerhalb des Mindesthaltbarkeitsdatums. „Wobei das eigentlich ein Punkt für sich ist. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist unser größter Konkurrent, denn viele Lebensmittel sind auch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums gut verzehrbar, aber wir dürfen sie schlicht nicht herausgeben“, sagt Urs.
Auch von Supermärkten, Privatspendern oder Kantinen bezieht die Tafel ihre Lebensmittel. Einiges, wie zum Beispiel Kartoffeln oder Karotten kaufen sie zusätzlich an. Das wird dann über Spendengelder finanziert.
Blumen als Dank zu Weihnachten
Nach einem kurzen Päuschen geht es weiter ins Lager. Unser Transporter wird ausgeräumt, die Paletten umgestapelt und in andere Transporter verräumt. Diese fahren die Lebensmittel später zu den Ausgabestellen. Bufdis, Sozialstündler und Festangestellte schwirren mit ihren Ladestaplern umher. „Ameisen“ heißen diese Stapler im Fachjargon. Anders als für Caterina, die nach ihrem Bufdi auf Südamerikareise geht, ist die Arbeit bei der Tafel für viele Festangestellte ein Anker im Leben. „Wir haben Mitarbeiter, die völlig dem Alkohol verfallen würden, wenn sie nicht die Arbeit bei der Tafel hätten“, sagt Urs, „Zu uns können sie dann vertrauen fassen und sich über Wasser halten.“
Die Beiden wissen ihre Arbeit bei der Tafel zu schätzen. „Der Kontakt zu den Menschen ist wirklich das Beste an meinem Bufdi. Uns Mitarbeitern wird eine unglaubliche Dankbarkeit entgegengebracht. Zu Beispiel an Weihnachten kamen so viele zu mir und haben sich ausführlich bedankt, dass wir sie mit Lebensmitteln versorgen und mir zum Beispiel auch Blumen oder Selbstgebasteltes geschenkt“, erzählt Caterina. Zwar gebe es immer wieder Menschen, die die Lebensmittelspenden nicht zu schätzen wissen, aber so sei es nunmal überall im Leben, berichtet Urs. Er betont, dass die Tafel nicht dafür da sei, die Gäste komplett zu ernähren, sondern lediglich als Unterstützung in der Ernährung gedacht ist. „Da gibt es dann manchmal Gäste, denen schmeckt irgendein Jogurt nicht und die beschweren sich dann. Aber ganz ehrlich: Die haben einfach den Sinn der Tafel nicht verstanden.“ Die überwiegenden Reaktionen seien aber sehr positiv.
Caterinas Bufdi endet in Kürze. Die Tafel werde sie sehr vermissen, sagt sie. „Die Arbeit ist zwar oft körperlich anstrengend. Kisten müssen gestapelt, umgeräumt und transportiert werden, doch das ist es Wert. Ich gehe jeden Abend mit einem guten Gefühl ins Bett. Todmüde aber mit gutem Gefühl“. Auch ihre Einstellung zu Lebensmittel habe sich verändert: „Ich persönlich achte nicht mehr so stark auf das Mindesthaltbarkeitsdatum, zumindest bei nicht so leicht verderblichen Lebensmittel und insgesamt hinterfragt man die Lebensmittelindustrie schon mehr, weil man einen Einblick erhält. Man wird bescheidener.“
„Helfende Hände sind bei der Tafel jederzeit gesucht“, sagt Urs. Aber was muss müssen Leute mitbringen, die sich bei der Tafel engagieren wollen? „Freude an der Arbeit mit Menschen und eine soziale Ader auch auf jeden Fall“, sagt Caterina. „Wir haben hier jeden Tag mit so vielen verschiedenen Menschen zu tun, die ich in meinem normalen Alltag nicht treffen würde. Das ist spannend und gibt mir sehr viel zurück.“
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Bildquelle: ZEITjUNG.