Napoli

Liebeserklärung an: das verrückte Napoli

Von Laura Nunziante

Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!

Die Stadt frisst dich auf. Regelmäßig. Immer wenn du hier bist, willst du sofort wieder fahren. Und dann kannst du nicht anders, als zu bleiben. Sie ist anders als jede Stadt in Europa: wild, chaotisch und laut. Sie erinnert an die Favelas Südamerikas; du kannst auf sie schimpfen, kannst verlangen, dass sie sich ändert. Aber Napoli ändert sich für niemanden. Der Stolz Italiens liegt in diesem kleinen Drecksloch am Mittelmeer unter einer Menge Müllberge verborgen, die manchmal über Wochen nicht abgeholt werden.

Wenig Höflichkeit, Populismus und laute Liebe

Kein Wunder, dass über 50 Prozent der Neapolitaner für die Protestpartei Cinque Stelle, die vom linken Komiker Beppo Grillo als Antwort gegen das Establishment gegründet wurde, gewählt haben. Neapolitaner sind nicht dumm, sondern ein wenig einfältig und Populismus ist genau ihre Sprache. Im Grunde gibt es auf der Straße, in den Bars, in den Supermärkten keine Chance auf eine normale Unterhaltung. Höflichkeit ist den Neapolitanern kein Begriff, eher eine elitäre Schule, die sie entschieden ablehnen. Alles muss geschrien und gerufen werden. Auch Liebe wird auf diese Art gezeigt. Das ist verstörend und dennoch höchst unterhaltsam.

Überhaupt geschieht nichts leise in dieser Stadt. Jede Nacht knallen illegale Feuerwerke auf sie ein, sie sind dazu da, um die vielen Heiligen der Stadt zu feiern oder aber auch eine Geburt oder Konfirmation eines Kindes. Die Carabinieri kann hier nicht viel ausrichten. Sie kann Regeln aufstellen, aber gebrochen werden diese ohnehin sekündlich. Wie soll sie auch viel zu sagen haben in einer Stadt, in der die Mafia den Ton angibt? In einer Stadt, die ihren eigenen Regeln folgt?

Touristen, die Mafia und eigene Regeln

Die Bewohner Neapels reden ganz offen darüber: fast jedes Geschäft und jede Bar bezahlt Schutzgeld. Und will sich die Politik dagegen wehren, scheitert sie daran, dass die Mafia längst ein Teil von ihr ist. Ihre Funktionäre sitzen in den höchsten Positionen. So kommt es vor, dass derjenige, der sich nach Geschäftsschluss auf den dreckigen Straßen der Stadt herumtreibt, die Besitzer der verschiedenen Läden dabei beobachten kann, wie sie den Rollerfahrern ein paar Scheine zustecken. Manchmal helfen sich die Besitzer dabei sogar gegenseitig aus.
Aber wer hübsch pariert, den lässt die Mafia in Ruhe, der kann ein ganz normales Leben führen. Das alles erzählte mir übrigens ein junger Taxifahrer etwas außerhalb der Stadt. Diese Logik leuchtet ihm ein, denn Napoli ohne Mafia wäre eine andere. Und den Touristinnen und Touristen zeigt sich die Mafia nie. Sie sollen nur eine schöne Zeit hier haben.

Dem Besucher ist jedoch eines wirklich nicht zu empfehlen. Er sollte nicht im öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen. Noch heute wundert es mich, dass überhaupt Autos vermietet werden oder es keine gesonderte Versicherung für Neapel gibt. Bei der Rückgabe liegen sich Touristen in den Armen, niemand weiß, wie er es aus der Stadt geschafft hat. Denn der Verkehr in Napoli folgt seiner eigenen Logik. Das Meiste wird durch Hupen geregelt. Spuren und Ampeln gibt es nicht, im Kreisverkehr kann es dir passieren, dass ein Fahrer plötzlich die Richtung wechselt. Es ist an der Tagesordnung sich darüber lauthals aufzuregen, aber im Grunde sind sich alle einig, dass Ordnung diesem Verkehr sowieso nicht steht. Das Fahren wie ein Computerspiel: Du musst die Augen auf der Straße halten, immer alles im Blick behalten und diverse Hindernisse, wie Fußgänger, Motorroller oder alte Leute, musst du umfahren. Wenn du es ohne Kratzer durch den Verkehr schaffst, bist du die Heldin der Stadt.

Papierherzen, Wangenküsse und Kaffee

In Napoli feiert man die Liebe. Die engen Gassen sind voll von Plakaten und Papierherzen in Übergröße. Dabei ist die Liebe nicht nur auf Liebespaare beschränkt, sondern gilt auch für Kinder, Enkel und Cousinen. Eigenartig erscheint es uns vielleicht, so offen mit unseren Emotionen in Deutschland umzugehen. Aber in Napoli ist charakterliche Kälte das größere Problem. Sie halten dir dann die Hand an die Stirn und fragen, ob du gesund bist, wenn du dich emotional zu sehr in deiner Hülle versteckst. Und wenn du hier Familie hast, dann ist es politischer Selbstmord, diese nicht auf einen Kaffee zu besuchen, ihnen keine Wangenküsse zu geben. Für die Liebe würde man einiges tun in dieser Stadt. Das Meiste ist nicht legal.

In dieser Stadt wird man abgezogen, verarscht, belogen. Neapel kümmert sich nicht um dich, aber es lässt dich auch nicht aus den Augen. Das ist das Herz der Stadt, und deswegen ist es mit der bunteste, verrückteste Ort, den Europa hergibt. Wer Neapels Regeln folgt, hat schon verloren, denn diese wechseln jeden Tag. Deine einzige Überlebenschance ist es, in den Taumel der Gassen unterzutauchen, im Chaos einzugehen, sich auf alle Spielchen einzulassen. Dann wartet eine Stadt wie keine andere auf dich. Nur gehen lassen wird sie dich nie.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz