Tanze als würde dich jeder sehen! – Clubabend im Wohnzimmer

Es ist noch hell, als ich auf dem Balkon stehe und nach oben schaue. Der Himmel erstrahlt in schönstem bayerischen Blau-Weiß. Die Uhr zeigt 19:44. Zurechtgemacht, ziehe ich noch einmal an meiner Menthol-Zigarette bevor ich sie mit Lipglossresten am Filter ausdrücke. Als ich denke, dass ich mich in die richtige Stimmung gebracht habe, gehe ich wieder rein an meinen Schreibtisch. Ich öffne meinen Laptop und mein Bier. Der Clubabend kann beginnen.

Heute kein Dresscode. Ich habe mich für ein sportlich-schickes Outfit in klassischem Schwarz entschieden, um mich zumindest ein bisschen clubmäßig zu fühlen. Schuhe konnte ich getrost in der Ecke stehen lassen, denn reingelassen werde ich ja so oder so. Der Eintritt ist meine WLAN Verbindung. 

Da ich mich anfangs nicht entscheiden kann, bin ich bei Facebook gleich an 3 Veranstaltungen „interessiert“ und will im Laufe des Abends mal sehen, was so geht.  

Im wahren Leben würde das 3 Taxifahrten bedeuten, aber Corona versetzt mich in eine Art futuristischen Anwesenheitszustand, der es mir erlaubt, mich von Location zu Location zu bewegen, innerhalb weniger Sekunden. Meine Entscheidung fällt zuerst auf den Harry Klein Club. Auf dem LineUp steht:  

Music & Visual Livestream Harry Klein Club: Harry Klein Residents: Lily Lillemor | Stefanie Raschke | Mellowflex | VJ Sicovaja

Bevor es losgehen kann, muss ich mich noch schnell bei twitch.tv anmelden, damit ich mich auch mit den anderen 12 Club Besuchern über ein Chat austauschen kann. Es stellt sich als ziemlich unkompliziert heraus, ohne 20 Bestätigungsschritte.  

Ok, los geht’s. Ich bin gespannt was mich erwartet. Nochmal kurz die Frontkamera checken und rein da.  

Als ich den virtuellen Club betrete, sehe ich die Djane, Lily Lillemor lässig an ihren TurnTables, Club Mate trinkend und dabei ein stilsicheres „Mutti“ – Shirt tragend. Im Bildhintergrund steht natürlich ein Desinfektionsmittel. Erste Kommentierende äh Clubgäste fragen direkt, woher man so eins bekommen könnte. Ich frage mich, wie sie alle gerade den Abend vor dem Computer mit der Live-Übertragung verbringen. Ein paar Versuche eine Konversation ins Rollen zu bringen, kommt leider über ein paar „His“ nicht hinaus. 

Der Sound ist big, die Visuals sick! Bei abgedunkeltem Licht und am Bier nippend kommt absolut Clubatmosphäre zustande. Mein Bewegungsdrang setzt ein und ich stehe auf, um ein bisschen über den Teppich zu hoppen. Hände in die Luft, Augen zu – ganz nach dem Motto: Tanze als würde es niemand sehen! Und es stimmt sogar. Ohne darauf zu achten, wie ich in einem echten Club wirken würde, tanze ich meine Energie frei. Dabei stelle ich mir dann allerdings doch vor, mich würde jeder sehen.

Könnte alles so schön sein. Doch dann, nach einer Weile: Verbindungshänger, und das immer häufiger. Das ist natürlich der absolute Stimmungskiller. Auch die Djane Stefanie Raschke, die jetzt ein super Set spielt, wirkt zunehmend gelangweilt. Ohne echtes Publikum ist es einfach nicht dasselbe, schätze ich.

Nachdem der Bildschirm alle 5 Minuten einfriert, ist mein Vibe leider gekillt und selbst das gute Glas Rotwein kann da nichts mehr drehen. Um 21:30 entscheide ich mich die Party mit mittlerweile 30 Gästen zu verlassen. 

Fazit: Das Gute ist, dass man sich beim Clubabend im Wohnzimmer voll auf sich selbst konzentrieren kann. Der Sound und die Visuals waren überraschend gut. Leider sind Unterhaltung mit anderen Online-Clubbern eher mau. Und mit schlechter Verbindung macht das Ganze auch wenig Spaß.

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Bildquellen: Unsplash; CCO-Lizenz, Instagram