Coming-out in der Kleinstadt: Eine Lehrerin erzählt

Am 31. März jährt sich einmal mehr der Transgender Day of Visibility. Auf Plattformen wie TikTok oder Instagram wird Transsexualität auch durchaus sichtbar gemacht. In einer konservativen Kleinstadt ist es weniger einfach, den Mut für ein Coming-out aufzubringen.

Disclaimer: Der Beitrag basiert auf der Wahrnehmung unserer Autorin und enthält dementsprechend subjektive Standpunkte.

Bis vor ein paar Jahren ging ich noch in einer konservativen Kleinstadt zur Schule. Als ich mit dem Abitur fertig war, packte ich meine Sachen und zog weg. Weit weg. Für mich bestand der Ort zur einen Hälfte aus Spießbürger*innen und zur anderen aus AfD-Wähler*innen. Es gab zwar Jugendliche, die ihre Instagram-Profile mit linken Sprüchen schmückten, aber ihre Freitagabende verbrachten sie trotzdem in Garagen voller Reichskriegsflaggen und Hasseröder.

Doch in den letzten Jahren scheint etwas mehr Toleranz eingekehrt zu sein. An meiner alten Schule outete sich eine Lehrkraft als transsexuell und verkündete vor den letzten Ferien, dass danach vor der Tafel nicht mehr „Herr“ Wiesenberg*, sondern „Frau“ Wiesenberg stehen wird.

*Name wegen gewünschter Anonymität von der Redaktion geändert

Jana Wiesenberg unterrichtet in einer Stadt, in der 2016 jede*r Dritte*r rechts wählte: AfD oder NPD. Die AfD zählte bei der Wahl damals mehr Stimmen als die CDU. Doch überraschenderweise waren die Erfahrungen der Lehrerin bis jetzt durchweg positiv. Ich habe mit ihr gesprochen und Folgendes hat sie mir geschildert.

Wie die Lehrerin den Entschluss fasste

Die endgültige Entscheidung zur Transition traf Jana Wiesenberg im Januar des letzten Jahres. Als ihr Rasierapparat den Geist aufgegeben hatte, merkte sie, dass sich ein Gefühl von Traurigkeit in ihr breit machte. Daraufhin machte sie sich sofort auf den Weg zu ihrer besten Freundin und öffnete sich das erste Mal diesbezüglich ihr gegenüber.  

Nachdem der Rest ihres Freundeskreises ebenfalls eingeweiht war und Jana Wiesenberg auch auf den Rückhalt dort zählen konnte, war sie bereit für den medizinischen Teil. Doch passende ärztliche Unterstützung zu finden, dauerte – und auch das psychologische Gutachten ließ lange auf sich warten. Erst seit einem Monat unterstützt sie ihre Transition medikamentös.

Da die Lehrerin ihr Coming-out in der eigenen Hand behalten und nicht irgendwann auf Gerüchte stoßen wollte, sah sie die letzten Ferien als den richtigen Zeitpunkt an, sowohl die Lehrer*innen als auch die Schüler*innen zu informieren.

Coming-out im Klassenzimmer

Aus den Reihen der Lehrerschaft habe es nur positive Reaktionen gegeben. Frau Wiesenberg merkt an, dass das Durchschnittsalter im Lehrerzimmer in den letzten paar Jahren gesunken sei: Der Großteil sei jetzt jung und vertrete keine antiquierten Standpunkte mehr.

Abgesehen von einem Problemschüler, der durch seine politische Meinung schon oft aufgefallen ist, habe es auch bei den Schüler*innen keine negativen Resonanzen gegeben. Was hinter dem Rücken gesagt werde, könne man natürlich nicht wissen. Doch die Lehrerin berichtet, dass vor allem die höheren Klassenstufen die neuen Pronomen und den sensiblen Umgang mit dem Thema verinnerlicht haben. Anscheinend ist mittlerweile auch in den Klassenzimmern mehr Platz für Toleranz und Akzeptanz.

Außerhalb des Schulgebäudes werden der Lehrerin hauptsächlich von älteren Personen skeptische Blicke zugeworfen. Zu Übergriffen oder Sprüchen sei es noch nie gekommen. Die Frage, ob sie sich sicher fühle, konnte sie aber nicht mit einem klaren „Ja“ beantworten. Nicht wenige Hauswände werden von Hakenkreuz-Graffitis oder Nazi-Parolen geziert. Auch bestimmte Demos machen ihr immer wieder bewusst, dass einige Bewohner*innen der Kleinstadt dieses Gedankengut durchaus noch in ihren Köpfen tragen.

Hoffnung auf tolerantere Zukunft

2017 war noch nicht einmal die Hälfte aller homo-, bi- oder transsexuellen Lehrkräfte bereit dazu, sich an ihrer Schule zu outen: aus Angst vor Ausgrenzung oder einem anderen Umgang seitens der Schüler*innen. Diese Umfrage liegt jetzt schon sechs Jahre zurück. Vielleicht war diese Zeitspanne nötig, damit andere queere Lehrkräfte den Weg für Frau Wiesenberg ebnen konnten.

Bei all den Gewalttaten gegen transsexuelle Personen weltweit scheint diese Geschichte ein Hoffnungsschimmer zu sein. Auch wenn es bei einer Transition um die Gesundheit und das Glück der Transitionierenden geht und nicht darum, ob sich andere damit wohlfühlen: Danke an die neuen Schüler*innen meiner alten Schule! Bildet euch weiter, macht den Mund auf und euch für andere stark! Bringt weiterhin neuen Wind in diese miefige Kleinstadt, das hatte und hat sie bitter nötig.

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Bildquelle: Laker via Pexels; CC0-Lizenz