Hikikomori: Wenn auf Angst Isolation folgt

Wenn uns die Welt draußen Angst einjagt, bieten die eigenen vier Wände Schutz und Geborgenheit. Doch das Versteck kann mit der Zeit zum Käfig werden.

Der Begriff Hikikomori („sich einschließen; gesellschaftlicher Rückzug“) kommt ursprünglich aus Japan und bezeichnet dort sowohl die „freiwillige“ soziale Isolation als auch die Leute, die diese praktizieren: Ganz so freiwillig ist die dann aber doch nicht und harmlos schon gar nicht.

Die Welt stummgeschalten

Hikikomori ziehen sie sich vollständig aus der Öffentlichkeit zurück, meist in das Haus ihrer Eltern: Sie gehen keiner Arbeit nach und besuchen auch nicht die Schule. Betroffene verlassen nur selten ihr Zimmer, daher werden Freundschaften und andere Beziehungen (selbst zu Familienmitgliedern) entweder aufgegeben, nur digital abgewickelt oder auf das absolute Minimum beschränkt. Diese Phase kann mehrere Monate, Jahre oder sogar Jahrzehnte andauern. In dieser Zeit zeigen Hikikomori oft Symptome psychischer Störungen wie Soziale Phobie, Autismus oder anderen Persönlichkeitsstörungen.

Wie viele Menschen genau betroffen sind, ist nicht bekannt: Wie bei vielen anderen psychischen Erkrankungen herrscht auch hier ein Stigma, dem sich die Familie der Betroffenen oft lieber entziehen wollen. Realistisch ist daher eine Schätzung von etwa eine Millionen Hikikomori in Japan – davon sind etwa 75 bis 80 Prozent Männer.

Die Angst vor dem Versagen

Die Gründe dafür, wieso diese Form des sozialen Rückzugs in Japan häufiger zu sein scheint als in anderen Ländern, sind zum Teil kulturell bedingt: Auf ein sehr forderndes Schulsystem, das bereits sehr früh stark auf Auswendiglernen und Prüfungen setzt, hohen Leistungsdruck und Erwartungshaltungen kommen ebenfalls eine Gesellschaft mit vielen Tabus und Vorschriften – die Balance zwischen Honne (das „echten Ich“; die eigenen Wünsche, die nur im engsten Freundeskreis geäußert werden dürfen) und Tatemae ( die „Maskerade“; Verhalten und Äußerungen in der Öffentlichkeit, gemäß den Erwartungen der Gesellschaft) fällt heutzutage einer zunehmenden Zahl an Menschen schwerer.

Viele Hikikomori beginnen daher bereits als Schulverweigerer (Tōkōkyohi) und schotten sich mit der Zeit immer weiter vom Rest der Gesellschaft ab. Zusätzlich kann der Gesichtsverlust infolge einer Pleite oder Arbeitslosigkeit ein Grund sein, aus dem sich Menschen für die Isolation entscheiden.

Psychische Erkrankung oder gesellschaftliches Problem?

Die größte Herausforderung ist es nun, Hikikomori wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Hierbei werden aktuell zwei Ansätze verfolgt: Die medikamentöse Behandlung in psychiatrischen Einrichtungen und/oder eine sozialpädagogische Therapie.

Bei letzterer ist das Ziel, den Betroffenen die Angst vor sozialen Kontakten zu nehmen. Dazu müssen sie aber erst einmal aus ihrem sicheren Kokon entfernt werden: Bewährt haben sich hierbei etwa Wohngemeinschaften von Hikikomori, in denen sich untereinander geholfen wird.

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Bildquelle: Pexels; CC0-Lizenz