Islam gehoert zu Deutschland

Kommentar: Der Islam – Ein Teil Deutschlands (!)

„Der Islam gehört zu Deutschland“ – ein Satz mit langer Geschichte und viel Diskussionspotenzial. Berühmt wurde der Satz durch die Rede von Christian Wulff zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit. Viele Diskussionen und Widersprüche später, hat auch Bundeskanzlerin Merkel Anfang 2015 von diesem Satz Gebrauch gemacht, und damit wieder eine Debatte ausgelöst. Aber warum ist die Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland“ für viele Menschen problematisch und mitunter sogar falsch? Laut einer Studie von WDR sind derzeit 60 Prozent der Menschen der Meinung, der Islam würde nicht zu Deutschland gehören, so Die Zeit. Hier geht es also um keine Meinung einer kleinen Randgruppe, sondern um die Mehrheit der Deutschen. Erschreckend und traurig zugleich.

Warum man es sich zu einfach macht, den Islam aus Deutschland wegzureden und wieso der Islam nicht nur theoretisch, sondern auch faktisch zu Deutschland gehören sollte. Ein Kommentar.

 

Ein Annäherungsversuch

 

Fragt man sich, ob der Islam zu Deutschland gehört, sollte die erste Frage sein, was denn Deutschland eigentlich ist? Was zeichnet das Land mitten in Europa aus? Und auf was können wir heute, als Deutsche – trotz Vergangenheit – stolz sein?

Es gäbe viel über Deutschland zu sagen. Wir sind nicht nur vielfacher Weltmeister, sondern auch stärkste Wirtschaftsmacht in Europa. Nicht nur bekannt für das Oktoberfest in München oder die Überreste der einstigen Berliner Mauer, sondern auch für eine Bundeskanzlerin, die mutig ihr „Willkommen“ zu Flüchtlingen in ganz Europa verteidigt. Denkt man an Deutschland, denkt man an ein freiheitliches Land, in dem sich die Menschen frei bewegen und äußern dürfen und können. An ein Land mit freier Religionsausübung und einer großen kulturellen Vielfalt. Kurz: Wir können stolz sein auf die Demokratie, Toleranz und unser „Willkommen“ zu Flüchtlingen, das als Echo durch das ganze Land geht.

Mit diesem Deutschland im Hinterkopf klingt es fast schon paradox, darüber nachzudenken, ob der Islam nun zu Deutschland gehört oder nicht. Ist doch die Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Religionen Deutschlands größter Reichtum und bestes Kapital.

 

Ja. Natürlich gehört der Islam zu Deutschland.

 

Das Ganze ist eigentlich eine einfache Rechnung. In Deutschland leben rund 81 Millionen Menschen. Vier Millionen davon sind muslimische Staatsbürger, schreibt Statista.com. Das heißt, sprechen wir über Deutschland und seine Bürger, gehören dazu auch Muslime und somit der Islam. Eine Verneinung dieser Tatsache wäre schlichtweg ignorant, denn das würde bedeuten es gäbe ein deutsches „Wir“, zu dem aber nicht alle Deutschen Staatsbürger gehören.

Natürlich ist es einfacher sich darüber zu definieren, was man nicht ist. Das ist es immer. Aber das „deutsche Wir“ abzugrenzen von andersartigen Bevölkerungsgruppen ist nicht nur ignorant, sondern auch gefährlich. Fragt man dich nach der Definition eines Hundes, wäre es auch leichter zu sagen, dass er keine Katze sei, anstatt wirklich und ehrlich den Hund zu definieren. Über die Hälfte der Deutschen macht es sich also im Moment richtig leicht. Anstatt basierend auf allen Werten, die wir genießen, ein Deutschland zu definieren, in dem der Islam genauso seinen Platz hat, wie das Christentum, der homosexuelle Nachbar und die Greenpeace-Aktivistin, konstruieren wir ein „Wir“, das weder mit der Wirklichkeit noch mit deutschen Werten übereinstimmt.

Der Islam: Nur eine Religion

 

Hat man also lange und gründlich genug über Deutschland nachgedacht, kann man sich nun fragen, was der Islam ist. Ich gestehe, theologisch gesehen ist das eine sehr schwierige Frage, die hier auch gar nicht beantwortet werden soll und kann. Aber ich denke, wir sollten mal alle kurz die Luft anhalten und verstehen, dass der Islam auch nur eine Religion, wie jede andere, ist. Wir haben es hier weder mit einer Terrororganisation – was leider viele glauben – noch mit einer Eigenschaft zu tun, die den Charakter eines Menschen ausschließlich durchdringt. Sadiq Khan, neuer, muslimischer Bürgermeister von London, sagte in der Rede nach seinem Wahlsieg: „Er sei vor allem Londoner und Brite, Ehemann, Familienvater und seit Jahren Fan von Liverpool“, so euronews.com. Und damit zeigt er schön, dass sich die Identität eines Menschen nicht nur über die Religion definieren lässt – logischerweise-, sondern eine Einschränkung dieser Art ganz im Gegenteil eine reale Verstümmlung der Persönlichkeit wäre, wie Navid Kermani in seinem Buch „Wer ist Wir?“ schreibt.

Wir sollten also aufhören in der verschleierten Frau auf der Straße oder dem Mann hinter dem Falafel-Stand ausschließlich die Muslima/den Moslem zu sehen, sondern begreifen, dass sie Menschen mit den gleichen Wünschen und Sorgen, wie wir selbst sind und natürlich ihren Platz im „deutschen Wir“ haben und auch faktisch haben sollten. Versuchen wir also, die Werte auf die wir stolz sind, auch zu leben und ein „deutsches Wir“ zu definieren, in dem Identität nicht durch Religion bestimmt wird.

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BIldquelle: Romain Toornier unter cc0