Frauenhände formen ein Herz

Discovering Hands: Wie blinde Frauen Leben retten

Menschen mit Behinderung haben es auf dem Arbeitsmarkt oft extrem schwer. Für viele Tätigkeiten steht die Behinderung selbst im Weg, aber auch Vorurteile und mangelndes Wissen seitens der Arbeitgeber machen es ihnen schwer, eine geeignete Tätigkeit zu finden. Wie wir als Gesellschaft auf Menschen mit Behinderungen schauen, spielt dabei eine nicht gerade kleine Rolle. Oft legen wir den Fokus darauf, was eine Person wegen ihrer Behinderung nicht kann. Viele Behinderungen bringen aber auch besondere Begabungen mit sich und Betroffene sind für bestimmte Aufgaben besonders gut geeignet.

discovering hands, eine 2011 gegründete Initiative, rückt den ausgeprägten Tastsinn blinder und sehbehinderter Frauen in den Fokus. Im Rahmen einer neu entwickelten, halbjährigen Ausbildung werden sie zu Medizinischen Tastuntersucherinnen (kurz MTU) ausgebildet und dabei sowohl in Anatomie, Onkologie als auch dem Umgang mit Menschen in sensiblen Situationen geschult. Auch der Tastsinn wird weiter trainiert. Nach der Ausbildung werden die Absolventinnen bei der Früherkennung von Brustkrebs eingesetzt.

Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen und insbesondere ab dem 40. Lebensjahr steigt das Risiko stetig. Es können aber auch jüngere Frauen betroffen sein. Eine frühzeitige Diagnose erhöht die Heilungschancen erheblich, was die Vorsorge so wichtig macht. Oft haben Ärzt*innen in der Sprechstunde jedoch nicht genügend Zeit und sehr kleine Veränderungen im Gewebe können übersehen werden. Dieses Problem sah der Gynäkologe und Gründer Frank Hoffmann in seiner eigenen Praxis und suchte nach einer Möglichkeit, die Tastuntersuchung zu verbessern. Die MTUs von discovering hands ertasten nach einer Studie der Universitätsklinik Essen bis zu 30 % mehr und 50% kleinere Gewebeveränderungen als Ärzt*innen.

So werden gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Vorsorgeuntersuchungen werden verbessert, der Erfolg von Krebsbehandlungen gesteigert und das Gesundheitssystem entlastet. Gleichzeitig wird für Menschen mit Sehbehinderungen ein neues Tätigkeitsfeld geschaffen, das nicht nur anspruchsvoll, sondern auch sinnvoll ist, und es wird dazu beigetragen, dass sich die Rolle blinder Menschen in der Gesellschaft verändert. Anstelle ihrer Behinderung rückt ihre besondere Begabung, der ausgeprägte Tastsinn, in den Vordergrund.

Inzwischen bieten zahlreiche gynäkologische Praxen in Deutschland taktilographische Untersuchungen an, die von MTUs durchgeführt werden. Auf der Webseite von discovering hands kann man Angebote im Umkreis finden. Die Untersuchungskosten werden von vielen gesetzlichen Krankenkassen sowie allen privaten Krankenkassen übernommen.

Unternehmensgründungen wie die von discovering hands fallen unter den Begriff Social Entrepreneurship. Gemeint sind damit Start-ups, die ein gemeinnütziges Ziel verfolgen. Nicht Gewinnmaximierung, sondern die Generierung sozialen Mehrwerts hat oberste Priorität. Das Konzept ist in Deutschland inzwischen weit verbreitet und findet vor allem in den Feldern Ökologie und Nachhaltigkeit, aber auch Bildung und Armutsbekämpfung Anwendung.

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Bildquelle: ATC Comm Photo von Pexels; CCO-Lizenz