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Effektiver Altruismus: So geht Selbstlosigkeit richtig

Von Agnes von Laffert

 

Schon klar, im Kapitalismus bringen es Egoisten am weitesten, der stärkste Ellenbogen gewinnt, aber ein bisschen Mitmenschlichkeit macht das Leben doch gleich viel schöner. Deshalb helfen wir im Alltag alten Damen über die Straße und unseren Eltern im Haushalt. Von Freunden hören wir ein „Danke, dass du immer für mich da bist“ und selbstlos opfern wir unsere Freizeit, um uns für sozial Schwächere zu engagieren. Zumindest einige von uns. Aber ist das schon genug?

 

Es gibt Menschen, deren Hilfsbereitschaft um einiges weiter geht: Sie nennen sich effektive Altruisten. Der effektive Altruismus (EA) ist eine moderne Philosophie, in der Handlungen – ähnlich dem Utilitarismus – vor allem nach ihren Konsequenzen beurteilt werden. Eine Tat ist also umso besser, je mehr ihre Folgen zum allgemeinen Wohl beitragen. Diese Philosophie sieht es als ethische Pflicht an, auf wissenschaftlich-rationale Weise das Leid aller Lebewesen, Menschen sowie Tiere möglichst zu vermindern.

 

Der Wert des Menschen variiert nicht

 

Um diesem Ziel näher zu kommen, setzen EAs vor allem auf Spenden – eine Art des Helfens, die in einer Zeit der permanenten Selbstdarstellung auf den ersten Blick infolge ihrer Anonymität unattraktiver scheint als direktes Engagement, aber manchmal ungeahnt viel mehr bewirken kann. Jede Spende oder anderweitige Hilfeleistung muss dabei unabhängig von geographischer Nähe oder Entfernung erbracht werden. Die Schwierigkeit dieser Anforderung macht die EA Stiftung eindrucksvoll mit dem ‚Gedankenexperiment zum ertrinkenden Kind’ deutlich: Stell dir vor, ein Kind fällt vor deinen Augen ins Wasser und scheint dem Ertrinken nahe. Willst du das Kind noch retten, bleibt dir keine Zeit mehr, Handy, Geld und deine Uhr, ein Familienerbstück mit großem materiellen und personellen Wert (ca. 3000€), abzulegen. Doch würde dich das von der Rettung abhalten?

 

Nein, natürlich nicht. Wir alle würden ins Wasser springen ohne nachzudenken. Was ist schon eine teure Uhr im Vergleich zu einem Menschenleben?Wären wir aber genauso schnell bereit dazu, die 3000€ an eine wohltätige Organisation zu spenden, die damit in Afrika nachweislich ebenfalls ein Kind retten könnte? Hier fiele unsere Antwort wohl schon viel zögerlicher aus, obwohl rational klar ist, dass der Wert des Lebens nicht von einem Kontinent zum anderen variiert, sondern immer der gleiche ist. Und nur weil ein Kind in Namibia stirbt und nicht vor unseren Augen, macht das seinen Tod nicht unbedeutender. Die Spende müsste also genauso selbstverständlich erbracht werden wie der Sprung ins Wasser.

 

Führt man dieses Gedankenexperiment immer weiter, wirkt das Ergebnis geradezu abschreckend – denn konsequenterweise müsste das Musterbeispiel eines effektiven Altruisten auch seine eigene Mutter einem x-beliebigen Menschen gleichstellen. Nehmen wir mal an, diese Mutter bittet uns später einmal um Geld für eine teure Hüft-OP, die sie braucht, um beim Gehen keine Schmerzen zu verspüren – mit demselben Beitrag ließen sich aber möglicherweise für hundert Patienten in Asien Medikamente kaufen, die sie von einer lebensgefährlichen Krankheit befreien würden. Bewertet man sie anhand ihrer Konsequenzen für das globale Glück, wird uns die Unverhältnismäßigkeit dieser beiden Handlungsalternativen bewusst. Und doch würde wahrscheinlich die große Mehrheit ohne zu überlegen das Geld für die OP in die Hand nehmen. Verständlicherweise, denn wer brächte es schon übers Herz, zugunsten von Menschen, die man nie getroffen hat, der eigenen Mutter Leid zuzufügen?

 

Emotionen vs. Effektivität

 

Genau das ist jedoch der Punkt, in dem sich der effektive Altruismus von der gängigen Wohltätigkeit unterscheidet: Er stellt eine rationale Philosophie dar, deren Anhänger dazu angehalten werden, eben nicht auf ihr Herz oder das Bauchgefühl zu hören, sondern auf den Verstand und empirische Untersuchungen. Denn höchstwahrscheinlich bringt dein Geld eben nicht den größten Nutzen, wenn du jedem Tag dem einbeinigen Obdachlosen, dessen traurige Augen tiefes Mitleid in dir hervorrufen, auf deinem Arbeitsweg 50 Cent in die Hand drückst – nein, vielleicht könnte dieses Geld zusammengenommen an anderer Stelle viel mehr bewirken als nur kurzweilig den Hunger eines alten Mannes zu stillen. Genauso könnte die großzügige Spende, die du an ein soziales Projekt in Südafrika überwiesen hast, weil deine Freundin dort gerade als Volunteer mitarbeitet, bei einem anderen Projekt, zu dem kein emotionaler Bezug besteht, vielleicht viel sinnvoller verwendet werden.

 

 

Um spendenwilligen Personen den besten weil allgemeinnützlichsten Weg aufzuzeigen, überprüft die EA-Organisation GiveWell deshalb Hilfsorganisationen hinsichtlich ihrer Effektivität. Oftmals stellt sich dabei heraus, dass ein bestimmter Betrag bei Organisation B den hundertfachen Nutzen dessen bringen kann, was er bei Organisation A bewirkte.

 

Steuerberater statt Krankenpfleger

 

Eine große Rolle spielt im effektiven Altruismus außerdem die ethische Berufswahl. EAs bevorzugen nicht, wie man zunächst annehmen würde, klassische soziale Berufe, sondern streben besser bezahlte Arbeitsstellen, zum Beispiel in der Finanzbranche, an. Denn je höher der Verdienst, desto höher auch die Summe, die schließlich gespendet werden kann. Dafür nehmen sie auch in Kauf, in Positionen zu arbeiten, die an sich moralisch eher verwerflich sind, was mit der eigenen Ersetzbarkeit gerechtfertigt wird: Ein Posten muss so oder so besetzt werden. Nimmt also ein effektiver Altruist einen Job an, trifft er beruflich vermutlich ähnliche Entscheidungen wie sie auch ein anderer getroffen hätte. Mit seinem Gehalt geht er danach allerdings besser um – viele Altruisten spenden mindestens 10% ihres Einkommens –, seine Arbeit wirkt sich also insgesamt positiver aus.

 

Das klingt ja alles schön und gut – aber kann man das auch im Alltag umsetzen? Hier geht’s weiter: