Empathie als Machtinstrument: Wie Firmen Gefühle nutzen, um uns zu manipulieren

Empathie gilt heute nicht mehr nur als persönliche Fähigkeit, sondern als gesellschaftliche Haltung und Führungskompetenz – und wird zunehmend zum Marketing-Instrument. Moderator Andreas Chichowicz sorgte kürzlich im „Weltspiegel“ mit dem Satz „Ich fühl Sie!“ für Aufsehen. Ein Ausdruck, der im klassischen Fernsehen selten vorkommt und vor allem in sozialen Medien wie „Ich fühle dich“ oder „I feel you“ gebräuchlich ist. Solche Redewendungen signalisieren oft Zustimmung oder Verständnis für alltägliche Probleme und spiegeln einen aktuellen Trend wider: Empathie wird zunehmend als soziales Kapital wahrgenommen.

Die FAZ berichtet, dass Empathie einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft hat, als Mittel für Harmonie und Zusammengehörigkeit. Doch gerade in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spaltung entsteht der Eindruck, dass diese Empathie oft nicht aufrichtig ist. Während extreme Meinungen und hate speech verbreitet sind, klingt die Forderung nach Einfühlungsvermögen schnell wie eine Reaktion auf die tiefer werdenden Gräben. Die wachsende Empathie-Kultur, insbesondere in sozialen Medien, lässt zweifeln, ob hinter Likes und Herzchen immer echte Anteilnahme steckt oder ob sie nur ein Instrument der sozialen Zugehörigkeit sind.

Die Kultur des „Fühlens“ in den sozialen Medien

Likes, Herzchen und Kommentare wie „I feel you“ auf sozialen Plattformen schaffen das Gefühl von Zugehörigkeit. Menschen signalisieren damit Zustimmung, selbst wenn sie die Verfasser*innen der Posts nicht persönlich kennen. Ein einfaches „Fühl ich“ oder ein Herzchen suggerieren Nähe, auch wenn die Verbindung flüchtig bleibt. Besonders in den sozialen Medien zeigt sich diese Tendenz: Die Kommunikation ist oft auf schnelle Gesten beschränkt. Diese Form der Zustimmung kann echte Bindungen überlagern und gleichzeitig das Gefühl der Einsamkeit verstärken, wenn die soziale Resonanz nur oberflächlich bleibt.

Empathie als Verkaufsstrategie im Marketing

Nicht nur im persönlichen Austausch, auch in der Geschäftswelt wird Empathie zunehmend strategisch eingesetzt. Gerade in den USA nutzt man das Konzept „empathetic marketing“, um Kund*innen emotional zu erreichen. In Empathie-Seminaren lernen Führungskräfte, wie sie Empathie gezielt nutzen können, um den Kundenkontakt zu verbessern und damit langfristige Kundenbindung zu schaffen. Dies geht jedoch oft über bloße Kundenzufriedenheit hinaus: Empathie wird hier als Werkzeug zur Steigerung der Verkaufszahlen eingesetzt. Hier wird Empathie im Dienst wirtschaftlicher Interessen genutzt.

Ein Beispiel aus der Verlagsbranche verdeutlicht, wie Empathie als Marketinginstrument dient: Die Verlagsgruppe Bastei Lübbe gründete jüngst das Label „Pola“, das sich mit dem Slogan „Fühl ich“ gezielt an Frauen richtet. Ziel sei es laut FAZ, eine emotionale Verbindung zur Zielgruppe aufzubauen und Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen. Das Versprechen, Leser*innen „Bücher, die uns verstehen“ zu bieten, spricht Bedürfnisse an, die für viele vor allem in den sozialen Netzwerken zur zentralen Sehnsucht geworden sind: Gesehenwerden, Bestätigung und Zugehörigkeit.

Ursprünge des „I feel you“ und dessen Verbreitung

Die Phrase „I feel you“ stammt ursprünglich aus der Hip-Hop-Kultur und wurde von Rappern und R&B-Künstlern als street expression verwendet. Von dort verbreitete sich der Ausdruck in die Alltagssprache und sogar in andere Sprachen wie das Dänische und Niederländische. Heute ist „I feel you“ international ein Zeichen für Zustimmung und Verständnis. Im Gegensatz dazu steht „I feel for you“, das echtes Mitgefühl ausdrückt. Dieser kleine semantische Unterschied geht in der alltäglichen Nutzung häufig unter, was dazu führt, dass „fühlen“ und „mitfühlen“ oft unkritisch vermischt werden.

Auf Plattformen wie Instagram oder Facebook fällt es leicht, durch ein schnelles Herzchen oder „Fühl ich“-Kommentare den Eindruck von Nähe zu erwecken. Doch dieses digitale Mitfühlen bleibt oft oberflächlich und zeigt, wie der Ausdruck von Empathie durch die sozialen Medien zunehmend ritualisiert wird. Die schnelle und unkomplizierte Möglichkeit zur Anteilnahme kann echtes Mitgefühl verdrängen, besonders wenn soziale Interaktionen auf kurze und symbolische Gesten reduziert werden.

Herzchen für Trauermeldungen? Die Widersprüche der digitalen Empathie

Ein auffälliges Beispiel für die ritualisierte Empathie in sozialen Medien sind die vielen Herzchen und positiven Kommentare, die selbst unter traurigen oder tragischen Posts zu finden sind. Gerade bei Beiträgen über persönliche Verluste oder Schicksalsschläge sieht man häufig Likes und Herzchen, oft von Menschen, die den Verfasser*innen nicht persönlich nahestehen. Laut FAZ ist dies ein Symptom dafür, wie stark das Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz geworden ist. Diese Form von „Empathie“ mag zwar Anteilnahme signalisieren, doch es bleibt fraglich, ob es sich dabei tatsächlich um echte Anteilnahme handelt oder ob die Symbole nur als Ersatz für echte emotionale Verbindungen dienen.

Auch wenn diese Art des digitalen Mitgefühls oft oberflächlich wirkt, kann die Kommunikation in sozialen Medien dennoch Beziehungen und sogar Freundschaften fördern. Trotz der scheinbaren Beliebigkeit der symbolischen Gesten können echte Bindungen entstehen, wenn Menschen durch regelmäßigen Austausch Vertrauen zueinander aufbauen.

Echtes Mitgefühl bleibt gefragt

Empathie ist in unserer heutigen Zeit zu einer Sprache geworden, die sich immer mehr im Alltag etabliert. Obwohl sich vielleicht nicht alle mit Phrasen wie „Ich fühle dich“ identifizieren, spiegelt der Trend zur Empathie ein wachsendes Bedürfnis nach sozialer Nähe und echtem Verständnis wider. Diese Empathie spielt nicht nur in der persönlichen Begegnung, sondern gerade in sozialen Medien eine zentrale Rolle. Besonders in einer zunehmend polarisierten Welt bleibt echtes Einfühlungsvermögen wichtig, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und Brücken zwischen Menschen zu bauen.

Gleich weiterlesen:

Folge ZEITjUNG auf FacebookTikTok und Instagram

Bild: Pexels, CC0-Lizenz