Immer mehr Frauen befreien sich vom Druck der Schönheitsideale

Die Kolumnistin Sabine Rückert beschreibt im ZEIT Magazin, wie sich ihre Sicht auf Schönheitsideale und den Druck, den diese auslösen, im Laufe der Jahre gewandelt hat. Besonders beeindruckend findet sie, dass ihre Tochter und Patentochter sich dem Schönheitsdruck komplett entziehen. Beide verzichten auf Make-up und wiegen sich nicht mehr, da es ihnen weder Freude noch Zufriedenheit bringt. Diese Haltung repräsentiere eine junge Generation von Frauen, die sich vom Schönheitswahn befreit hätten. Stattdessen fokussieren sie sich auf ihre Interessen und Beziehungen, was ihnen mehr Glück zu bringen scheint.

Die Autorin selbst beschreibt, dass sie in ihrer Jugend, in den 1960er und 1970er Jahren, stark von dem Schönheitsideal geprägt worden sei. Twiggy, das erste Supermodel, war damals der Inbegriff von Schönheit – schlank und zerbrechlich. Auch sie selbst habe versucht, diesem Ideal nachzueifern, indem sie hungerte und rauchte, um die gewünschte Figur zu erreichen. Doch trotz all dieser Mühen sei sie nie wirklich zufrieden mit ihrem Aussehen gewesen. Laut Rückert wurden Frauen in ihrer Jugend durch Werbung und gesellschaftliche Normen stark beeinflusst.

Äußerliches als Schutzschild

Noch heute, so Rückert, achte sie auf ihr Äußeres.

Schminke ist für mich nach wie vor eine Art Rüstung, die ich anlege, bevor ich mich ins Getümmel stürze. So wie Männer ihren Dreiteiler anziehen und die Krawatte um den Hals legen, um sich dem Geschäftstag auszusetzen, so ziehe ich Lidstriche und toupiere die Frisur.

Sabine Rückert

Sie vergleicht diese Situation mit den 1960er Jahren in den USA, als Frauen als bloße Zierde galten und deren Selbstwertgefühl hauptsächlich davon abhing, wie sie von Männern betrachtet wurden. Auch heute noch sind solche Mechanismen nicht vollständig überwunden, so Rückert.

In der Netflix-Serie Mad Men wird diese Zeit laut Rückert eindrucksvoll dargestellt. Frauen hätten sich damals in der Regel Männern untergeordnet und versucht, durch äußere Attraktivität gesellschaftlich aufzusteigen. Falsche Wimpern und lackierte Nägel seien dabei die Waffen gewesen, um in die richtige gesellschaftliche Schicht zu gelangen.

Der Druck auf Frauen bleibt bestehen

Obwohl Frauen heutzutage mehr Rechte und Freiheiten haben, beobachtet die Autorin, dass der Druck auf das Äußere weiterhin stark ist. Viele junge Frauen folgen freiwillig Influencerinnen in sozialen Netzwerken, die ihnen vorschreiben, wie sie auszusehen haben. Diese Unsicherheit führt laut Rückert dazu, dass Frauen sich Schönheitsoperationen unterziehen, um bestimmten Idealen zu entsprechen.

Allein in Deutschland wurden 2022 fast eine halbe Million solcher Eingriffe vorgenommen, meist an Frauen. Rückert fragt sich, warum sich Frauen die Brüste vergrößern oder ihre Hüften aufblähen lassen, obwohl diese Operationen gesundheitliche Risiken bergen? Entsprechen diese extremen Schönheitsoperationen wirklich einer Form der Selbstverwirklichung oder eher einer tiefen Unsicherheit?

Ein Blick in die Vergangenheit

Rückert zieht einen Vergleich zu den Lotusfüßen im alten China, wo Mädchen absichtlich die Füße verkrüppelt wurden, um sie attraktiv erscheinen zu lassen. Diese grausame Tradition habe sich zwar bis 1949 gehalten, doch sie sehe Parallelen zu modernen Schönheitsoperationen wie dem Brazilian Butt Lift, bei dem Frauen sich ihren Körper unter extremen Schmerzen modellieren lassen. Diese Ideale stehen laut Rückert in einem extremen Widerspruch zur Tatsache, dass Frauen in der heutigen westlichen Gesellschaft so frei seien wie nie zuvor.

Dennoch sind Schönheitsoperationen wie Fettabsaugungen, Faceliftings oder Intimchirurgie für viele Frauen noch immer ein erstrebenswertes Ziel. Besonders das Beispiel der 66-jährigen Madonna, die ihr Aussehen drastisch verändert hat, stimmt die Autorin nachdenklich. Sie fragt sich, warum eine Frau, deren Alter allen bekannt sei, sich selbst täuschen will, indem sie jünger aussieht, als sie tatsächlich ist.

Die Befreiung vom äußeren Druck

Trotz ihrer eigenen Eitelkeit sagt Rückert, dass sie sich von vielen Zwängen befreit habe. Sie freue sich zwar über Komplimente und retuschierte Fotos in der Presse, doch der Aufwand, um attraktiv zu wirken, lohne sich nicht mehr. Sie erkennt, dass der Erfolg solcher Bemühungen mit den Jahren abnimmt, während der Aufwand wächst. Umso mehr bewundert sie ihre Tochter, die sich von diesen Schönheitsidealen komplett distanziert hat. Rückert selbst ist es inzwischen egal, ob andere sie attraktiv finden oder nicht. Hauptsache, sie gefällt sich selbst.

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Bild: Pexels, CC0-Lizenz