Binge Eating: Wenn das Essen zur Sucht wird
Es gibt wenige Themen, die so sehr mit Vorurteilen behaftet sind wie Essstörungen. Wenn man essgestört ist, ist man dünn und hungert: Das sagt das Klischee. Die Realität spricht jedoch oft eine andere Sprache.
Triggerwarnung: In diesem Text geht es um das Thema Essstörungen. Wenn du dich mit dem Thema nicht wohlfühlen solltest, lies doch gerne einen unserer anderen Beiträge.
Lara sitzt auf ihrem Bett. Sie steht auf, setzt sich wieder hin. Lara greift nach ihrem Handy und öffnet TikTok: Ein Rezept-Video. Sie scrollt weiter. Im nächsten Clip sieht sie ein Café mit ganz viel Kuchen. Laras gesamte „For You Page“ ist voller Essen. Sie hat Hunger. Manchmal hat Lara das Gefühl, es würde ihr besser gehen, wenn sie sich das ganze Essen wenigstens ansieht. Aber sie darf nicht schwach werden: Immerhin waren ihr Frühstück und ihr Mittagessen heute richtig gesund. Sie will ihre Erfolge nicht kaputt machen, „ihre Streak nicht verlieren“, nennt sie es.
Freude mischt sich mit dem Nussgeschmack
Lara hört eine Tür zufallen. Ihre Mitbewohnerin kommt nach Hause. „Ich habe Nusszopf mitgebracht“ ruft sie. Lara wird schwindelig. Das kann sie doch jetzt nicht essen. Das ist viel zu ungesund. Welche Ausrede kann sie benutzen? Während sie überlegt, geht sie in die Küche. Der Nusszopf liegt auf einem Teller. Er sieht saftig aus und lecker. Lara läuft das Wasser im Mund zusammen. „Ich nehme mir später etwas“, sagt sie und geht zurück in ihr Zimmer. Später kommt sie zurück in die Küche. Sie riecht an dem Kuchen. Denn das tut so gut. Aber essen kann sie ihn einfach nicht. Sie riecht noch einmal und läuft zurück in ihr Zimmer.
Wenig später geht sie noch einmal in die Küche. „Ein Stück geht schon“, denkt sie sich und schneidet eines ab. „Richtige Entscheidung“, findet sie. Als sie das Stückchen gegessen hat, ist sie fast schon traurig. Jetzt ist es schon wieder vorbei. „Aber eigentlich ist es ja jetzt eh schon egal. Ich habe meine Streak eh schon zerstört“, denkt sie sich. Ein nervöses Kribbeln macht sich in ihrem Bauch breit. Das heißt: Sie kann einfach noch ein Stück essen? Freude mischt sich mit dem Nussgeschmack in ihrem Mund. Sie schneidet sich noch ein Stück ab, noch ein Stück und noch ein Stück. „Das muss ich jetzt ausnutzen“, denkt sie. Denn morgen ernährt sie sich ja wieder gesund!
Aufhören geht nicht
Lara öffnet den Küchenschrank und findet eine Tafel Schokolade. Auf damit und runter. Nächster Schrank auf. Ein Stück Brot. Runter. So geht das eine halbe Stunde. Lara fühlt sich wie in Ekstase, sie kann nicht aufhören zu essen. Es ist eine Mischung aus „Es schmeckt so gut“ und „Morgen geht das nicht mehr“, die sie antreibt. Irgendwann kann sie nicht mehr. Aber aufhören geht trotzdem nicht. Sie isst weiter, obwohl ihr schon schlecht ist. Dinge, die sie nicht einmal mag. Denn Lara hat einen Binge-Eating-Anfall.