Frederik Fleig über Nachhaltigkeit: „Das richtige Wir-Gefühl kann total viel bewirken!“
ZEITjUNG: Wie denkst du, könnte die Arbeit von Ana Silva Tavares in Portugal die Textilindustrie auf globaler Ebene beeinflussen?
Frederik Fleig: Von dem, was sie und ihr Team da machen, können sich andere aus der Branche weltweit etwas abschneiden. Denn dort bei ihnen nördlich von Porto dreht sich alles darum, möglichst Ressourcen schonend zu arbeiten. Denn auch alte Kleidung und nicht verwertete Schnittreste, die übrigens fast immer verbrannt werden, sind wertvolle Rohstoffe. Zu sehen, dass man diesen Materialien durch das Zerkleinern in ihre kleinsten Bestandteile wieder ein neues Leben schenken kann, fand ich total beeindruckend. Wie auch die neuen Färbetechniken mit Bakterienstämmen. Hier werden sicher noch mehr Jahre vergehen, bis dies im großes Stil umgesetzt wird. Doch zu sehen, welche Möglichkeiten hier entstehen und wie gigantisch viel Wasser so in der Produktion gespart werden kann – das ist extrem spannend!
ZEITjUNG: Was nimmst du persönlich aus der Begegnung mit einem solchen zukunftsorientierten Textilunternehmen mit?
Frederik Fleig: Mich persönlich beschäftigt die Textilbranche und ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt bereits seit vielen Jahren. Für eine Podcast-Recherche habe ich mich sogar einmal als Investor getarnt in äthiopische Textilfabriken geschmuggelt. Ich kenne also die Stories, die hinter dem neuen Shirt für 10€ liegen, von dem wir wohl alle einige im Kleiderschrank haben. Ich vergleiche das, was dort in weit entfernten Ländern passiert, gerne mit der Massentierhaltung. Wir wissen alle, zu welchem Preis für Näherinnen oder die Umwelt unsere Kleidung hergestellt wird. So wie wir auch wissen, was es für schreckliche Zustände in der Massentierhaltung gibt. Und trotzdem sind wir extrem gut darin, dieses Wissen im Moment des Einkaufens weit weg zu drängen. Da erwische ich mich manchmal auch selbst dabei. Denn zu 100% komme auch ich nicht mit Second Hand und Fair Fashion durchs Leben. Umso wichtiger finde ich es aber, dass wir gemeinsam an Alternativen arbeiten. Und die können nun mal nicht heißen, dass jeder Mensch in Deutschland 50€ für ein T-Shirt bezahlen muss. Dieses Privileg haben nur wenige. Die Entwicklungen in Portugal machen mir auf jeden Fall Hoffnung, dass es eben Wege gibt, wie auch in Masse nachhaltige Kleidung hergestellt werden kann.

ZEITjUNG: Frederik, wie war dein erster Eindruck von Tilos, einer Insel, die fast ihren gesamten Strom aus erneuerbaren Energiequellen bezieht?
Frederik Fleig: Erstmal wurde ich von einer unglaublich entspannten Atmosphäre empfangen. Tilos in der Nebensaison, das ist echt die pure Entschleunigung. Und das merkt man auch bei den Inselbewohnern. Das Ganze ist auch sehr familiär. Gefühlt kennt jeder jeden. Und darin lag für mich auch die Besonderheit dieser Insel. Ich hab ein total starkes Gemeinschaftsgefühl gespürt. So: Wir sind die Menschen von Tilos, das ist unsere Insel und gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass es der bestmögliche Ort ist. Und das spürt man total! Vor allem natürlich bei Maria, der Bürgermeisterin von Tilos, die einfach unglaublich viel wuppt und anschiebt. Aber es machen eben auch alle mit, sammeln Müll, wiegen ab und heben etwas auf, wenn irgendwo Plastik am Straßenrand liegt. Übrigens auch eine Angewohnheit, die Maria hat. Wenn wir unterwegs waren und irgendwo lag Müll, Zack – dann ist sie immer direkt hin und hat es aufgesammelt. Wenn das die Bürgermeisterin macht, dann macht das was mit dem Rest der Menschen. Und zu sehen wie ein einziges Windrad und einige mittelgroße Fläche Solarpanele eine ganze Insel versorgen kann – das war schon toll und es zeigt irgendwie, was gehen kann!
ZEITjUNG: Glaubst du, dass das Modell von Tilos auch auf größere Gemeinschaften oder sogar ganze Länder übertragbar ist?
Frederik Fleig: Natürlich gibt es Länder, die in Sachen Wind und Sonne mehr oder weniger gut versorgt sind. Auf Tilos kommen da schon einige positive Faktoren zusammen. Ich finde aber schon, dass dieses Gefühl der Gemeinschaft, die ein gemeinsames Projekt und Ziel verfolgt, übertragbar ist. Vielleicht ist das für ein riesiges Land wie Deutschland schwierig. Aber zu wissen, mein Viertel oder meine Stadt kommt auf ne Recycling Quote von 80-90 Prozent. Oder eben auf 80-90 Prozent eigenem Strom aus erneuerbaren Energien, weil alle Dächer Solarpanels haben – das muss spürbar sein und dann glaube ich, kann das richtige Wir-Gefühl total viel bewirken.