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Freies Denken: Liebe Uni, du machst es falsch

Mit der Einführung von Bachelor und Master wurde unser Universitätssystem immer weiter verschult. Ziel ist es, in möglichst wenigen Semestern seinen Studienabschluss zu schaffen, versprochen werden dadurch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wie wir das hinkriegen? Möglichst schnell möglichst viele ECTS-Punkte sammeln. Lasset die Schnitzeljagd beginnen! Wer zuletzt da ist, hat verloren.

 

Wie lange darf man studieren?

 

Denn überschreitet man die angesetzte „Regelstudienzeit“, so wird man sich permanent rechtfertigen müssen: Unsere Gesellschaft setzt ein verzögertes Studium mit einem gewissen Versagen gleich. Dass man sich mit bestimmten Themen rein aus Interesse intensiver beschäftigt haben könnte, neben dem Studium noch seitenweise Musil gelesen oder eigenständige Recherchen zum Anbau erneuerbarer Energien in Südafrika angestellt hat, findet an dieser Stelle keine Beachtung. Vielmehr wird einfach von einem Studenten ausgegangen, der seine Zeit lieber mit Rumhängen und Partys statt mit Büffeln in der Bib verbracht hat. Liegt nahe und geht bequemlich schneller als sich mit Einzelfällen auseinanderzusetzen. Und dann kann es egal sein, wie sehr man ehrlich für sein Studium brennt: Geisteswissenschaftler werden kaum noch ernst genommen. Sie gelten als „nicht arbeitsmarktfähig“. Entscheidet man sich trotzdem für ein solches Studium, wird man meist nur belächelt und immer wieder mit der lästigen Frage „Was willst du denn damit anfangen?!“ konfrontiert, denen man nur noch mit Standfestigkeit und einer großen Portion Selbstironie begegnen kann. 

 

Der Inhalt wird auswendig gelernt, hinterfragt eher nicht

 

Die materielle Verwertbarkeit eines Studiums steht heutzutage über der gesellschaftlichen und kulturellen Bereicherung. Ziel ist es nicht mehr, den Menschen zu einem möglichst selbstständigen und frei denkenden Individuum zu befähigen, sondern der Fokus wird auf die Wirtschaft gelegt, auf den Marktwert. Natürlich möchte jeder Student nach dem Studium in den Arbeitsmarkt einsteigen. Das steht außer Frage. Aber gelingt uns das nur noch durch Auswendiglernen von Skripten? Sollte uns ein Studium nicht auch in unserer Menschwerdung, im Ausreifen einer Persönlichkeit weiterbringen? Und die Persönlichkeit wiederum einen Job angeln, in dem wir gut sind, weil wir wirklich der oder die Richtige dafür sind?

Denn was bringt uns dieses Reinprügeln von reinen Fachinhalten letztendlich wirklich für unseren Arbeitsmarkt. Die Studenten sitzen gelangweilt in irgendwelchen Vorlesungen, deren Inhalte sie wahrscheinlich erst so wirklich in der Prüfungsphase wahrnehmen. Dann wird nämlich der halbjährliche Bib-Marathon eingelegt. Die Folien des Professors werden auswendig gelernt. Hinterfragt wird der Inhalt nicht. Wie denn auch? Bleibt ja gar keine Zeit mehr.

 

Die Uni: Nichts anderes als eine Verlängerung der Schulzeit?

 

Eigentlich schade, dass die Uni mittlerweile als lästige Fortführung der Schule angesehen wird. In der Schule war das noch anders: Man war dort, bis vielleicht auf die Zeit in der Oberstufe, nicht freiwillig. Man musste das lernen, was einem vorgesetzt wurde. Klar, nach zwölf bis dreizehn Schuljahren hat man diese Einstellung völlig verinnerlicht. Schließlich bestimmte diese Zeit mehr als die Hälfte des eigenen Lebens. So schnell gelingt es uns also nicht, diese Wahrnehmung des Wissenserwerbs zu verändern. Wie auch? Denn unser tolles neu eingeführtes Bachelor-Master System fördert diese Denkweise weiter. Möglichst jung wird, natürlich nach einem kurzen aber lebenslauffördernden Work &Travel-Zwischenstopp in Australien, das Studium aufgenommen und als eine Erweiterung der Schulzeit aufgefasst. Doch diese Einstellung eliminiert das freie Denken. Das Studium befähigt uns nicht mehr zu einer kritischen Denkweise, sondern stellt lediglich eine notwendige Begleiterscheinung unseres veränderten Arbeitsmarktes dar.

 

Warum beschäftigen wir uns so selten mit nicht prüfungsrelevanten Inhalten?

 

Ja, eine intensive Auseinandersetzung mit einem Thema kann ein Studium hinauszögern. Und ja, irgendwann sollte man schon fertig werden mit der Ausbildung und nicht dreizehn Semester halbscharig in muffigen Bibliotheken herumkrebsen. Aber es ist traurig, dass eine Arbeitseinstellung, die auf wirklichem Interesse beruht, heutzutage nicht mehr wertgeschätzt wird. Oder viel schlimmer noch: als bequem und höchst bedenklich wahrgenommen wird. Versucht man aus gelernten Inhalten etwas Eigenes zu machen, sich vom vermittelten Standpunkt aus in eigenständige Richtungen zu drehen, Dinge nicht nur reinzuschaufeln, sondern auch zu hinterfragen (sogar auszuspucken), wird man zu einem Außenseiter der Gesellschaft. Fraglich ist, inwiefern auswendig gelernte – und wahrscheinlich noch nicht mal wirklich verstandene Inhalte – die Top-Manager von morgen qualifizieren. Es wäre angebracht, unseren derzeitigen Uni-Zustände mal gründlich zu überdenken.

 

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Bildquelle: Alex Jones unter cc0 1.0