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Freundschaft: Die Suche nach dem Kindheitsgefährten

Vertrauter Fremder

Er meldet sich mit einem tiefen „Hey“, das mich ein wenig aus der Bahn wirft. Denn natürlich wusste ich, dass er jetzt ein Mann ist, aber irgendwie hatte ich noch immer ihn im Kopf, das Kind, das so gerne Pfeile schnitzte, das Ninja Turtles faszinierend fand und das dieses ganz besondere Lachen hatte. „Hey“, sage ich. „Ich bin’s, Maxi. Von früher.“ Er weiß sofort, wer ich bin, braucht keine Nachfrage oder steht auf dem Schlauch, was ich bemerkenswert finde. Wir verabreden uns zum Skypen. Persönlicher. Außerdem bin ich gespannt, wie er aussieht. Und er wahrscheinlich darauf, was aus dem langhaarigen Jungen mit dem orangenen T-Shirt geworden ist.

Wir skypen drei Tage später. Als die Verbindung steht, schaut mich ein ernst aussehender Mann an. Er sieht deutlich älter aus als auf dem Foto auf der Highschool-Seite. Er trägt ein kariertes Hemd, raucht, was ich total verrückt finde. Dass er, mein Piraten-Kollege, mein zweiter Häuptling, etwas anderes raucht als eine imaginäre Friedenspfeife. Wir mustern uns kurz, beginnen dann zu sprechen. Auf Deutsch. Er erzählt, dass sein leiblicher Vater immer noch in der Nähe unserer früheren Heimat wohnt. Daher ist er nicht ganz aus der Übung. Am Anfang ist es ein bisschen verkrampft, weil man bei 14 vergangenen Jahren nicht weiß, wo man anfangen soll.

Irgendwann aber reden wir. Über alles. Er erzählt mir von Belinda, seiner Freundin. Von seiner Uni, seinem Trip nach Europa vor zwei Jahren. Wir reden einfach drauflos. Und es ist, als würde man einem Fremden, den man nur aus einem fernen Traum kennt, von seinem Leben erzählen. Aber das ist überhaupt nicht komisch oder hemmend. Denn wenn man einmal einer feindlichen Übermacht gegenüber stand, verbindet das wohl auch noch Jahre später. Wir lachen, als wir uns gemeinsam erinnern an all den Blödsinn, den wir früher so getrieben haben. Und sind beide wissbegierig auf das Leben, das ein Gleichaltriger in einem anderen Land führt.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Als wir die Verbindung nach zwei Stunden trennen, ist es nicht, als würde ich von einer Reise in meine Kindheit zurückkehren, wie ich es erwartet hatte. Stattdessen fühlt es sich an wie der Beginn von etwas Neuem an. Auch wenn ich nicht weiß, wann und ob wir den Plan, uns irgendwann zu sehen, in die Tat umsetzen werden, denke ich an Hesse. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

Der besteht bei Alex und mir nicht darin, dass sich zwei Fremde begegnet sind, sondern darin, dass sich zwei Freunde wieder gefunden haben. Freunde, die sich zwar fremd sind, aber auch für immer etwas miteinander verbinden werden: Lange Ausritte durch ausgedachte Prärien auf ausgedachten Pferden, Kämpfe, Baumhäuser, die Natur, Lagerfeuer, Iglus. Kurz: die Phase des Lebens, in der es keine Grenzen gibt außer der voranschreitenden Zeit, die einem dem Abendessen mit den Eltern näherbringt und das Leben des Moment dort draußen irgendwann beendet. Jedenfalls für eine Nacht. Denn schon am nächsten Tag konnte man damals wieder rausgehen, gemeinsam Neues entdecken und sich so nah sein, als wäre man tatsächlich ein Kriegergespann, das einander das eigene Leben anvertraut und bereit ist, füreinander einen imaginären Tod zu sterben.