Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #12

Nur ein Wort: Danke.

 

Ich solle doch zuerst den kleinen Umschlag aufmachen, sagte Jenny zu mir. Sie strahlte. Ich saß auf der Couch, um mich herum meine Freunde aus Stralsund. Wir feierten meinen Geburtstag, eine spontane Feier. Anderthalb Wochen zuvor hatte ich erfahren, dass ich keine aktiven Krebszellen mehr im Körper habe. Der Weg frei fürs Leben. Gregor drehte die Musik leiser und hielt seine Handykamera auf mich. Ich konnte mich nicht wehren. Trubel ist mir unangenehm. Schönes wie Negatives mache ich meist mit mir selbst aus, wie damals in Lissabon. Vor mir stand ein großer Rahmen. Jenny hatte ihn mir zuerst in die Hand gedrückt, fälschlicherweise, der kleine Umschlag, ihn sollte ich doch zuerst öffnen. Aber alleine schon das Bild wühlte mich auf: Bilder von Lissabon, die schönsten Plätze und Sehenswürdigkeiten, daneben sechs Buchstaben, einzeln ausgeschnitten und zu einem Wort zusammengeklebt: Lisboa. Darunter ein kleiner Spruch: „Aus Träumen werden Pläne.“ Verdutzt öffnete ich den Umschlag und zog eine Karte hervor, verziert mit einem Stern, einer Schleife und der Aufschrift „für Herzenswünsche.“

„Laut vorlesen“, sagte Jenny.

„Lieber Shrimps, zu deinem Geburtstag wünschen wir dir nur das Beste dieser Welt und vor allem viel Gesundheit! Eine schwere Zeit liegt hinter dir, deshalb haben wir gedacht, wir erfüllen dir einen großen Herzenswunsch…“

Ich las jedes Wort, es kam irgendwie an, aber ich verstand es nicht. Die Farbe des blauen Buntstiftes wechselte, von einem zarten Hellblau zu einem kräftigen Blau, als ginge der seichte und ruhige Tejo über in den kräftigen, stürmischen Atlantik. „Ein Kaffee am Fuße des Tejos in Lissabon! Dafür haben wir ein wenig Kleingeld gesammelt für einen Reisegutschein im Wert von 650 Euro. Damit sind vielleicht sogar zwei Kaffees drin.“

 

Die Erfüllung meines Traums

 

Ich starrte auf die Karte. 21 Menschen, die mich begleiteten auf meinem Weg, dazu die Redaktion meines Arbeitgebers: sie alle haben für mich gesammelt, damit ich mir meinen Traum erfüllen konnte. Nur einziges Wort brachte ich hervor. „Danke.“ Ich konnte nicht mehr sagen. Mir ging alles durch den Kopf: das ganze letzte Jahr, Lissabon, Schwerin, Krebs, der Sieg über die Krankheit und das Geschenk, die Erfüllung meines Traums, das Ende einer Reise.

Antonio Tabucchi, italienischer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, schrieb einmal über Lissabon, sie sei eine Stadt, die eine beachtlich vielfältige Auswahl biete: für einen noblen Selbstmord. Umbringen möchte ich mich nicht. Aber ich will den Krebs begraben. Ebenso mein altes Ich. Bei einem Kaffee. In Lissabon. Wann ich fahre? Zum ersten Jahrestag meiner Diagnose.

 

 

Hier findest du alle „Fürs Erste Krebs“-Episoden von Sebastian Schramm.

Die Diagnose Krebs ist immer schlimm. Aber gerade jungen Menschen wird oft der Boden unter den Füßen weggerrissen, wenn ihnen die Krankheit in ihre Lebensplanung hineinpfuscht. Deshalb gibt es seit 2014 die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Ihr Ziel ist es, die Therapiemöglichkeiten und die Versorgungssituation zu verbessern und Erkrankten mit Gesprächen und Austausch zur Seite zu stehen. Die Facebook-Seite der Stiftung findet ihr hier.