Sex-Escort-letzter-Tabubruch

„Ich bin eine faule Schlampe.“ – Interview mit einem Gay Escort

Von Anna-Maria Jarad

Kurz gesagt: Jakob prostituiert sich. Er bekommt Geld für Sex mit Männern. Aber er ist keiner dieser Bahnhofsstricher, die sich verkaufen, um an Stoff zu kommen. Jakob ist kerngesund und braucht nicht den Stoff, sondern das Geld. Er selbst nennt sich lieber Gay Escort. Schließlich steht er nicht auf der Straße, sondern wird von seinen Kunden gebucht. Man findet ihn im Internet und er sucht sich aus, mit wem er sich verabredet. Ich treffe ihn in einem Café in der Berliner Motzstraße. Zum Reden.

 

ZEITjUNG.de: Jakob, warum treffen wir uns hier, in der schwulsten aller Berliner Straßen? Das riecht stark nach Klischee.

Jakob: Man kann sagen, ich lebe meine Rolle.

Wie alt bist du?

Einundzwanzig.

Und in echt?

Sechsundzwanzig.

Warum machst du dich jünger?

Weil die Klientel, mit der ich es zu tun habe, sehr eitel ist. Je jünger ihre Eroberung, desto besser fühlen sie sich.

Aber du bist doch gar keine Eroberung, du bist ein bezahltes Sex-Date.

Ja, aber ein Sex-Date, das zugesagt hat und demzufolge schon mal ein Erfolg ist.

Also sind die Männer, die dich buchen, eher weniger erfolgreich auf dem schwulen Sexmarkt?

Das würde ich so nicht sagen. Viele meiner Kunden sind durchaus interessante und selbstsichere Persönlichkeiten, die keinerlei zusätzliche Aufwertung benötigen. Allerdings ist die schwule Geilheit meiner Erfahrung nach der kleine Cousin der Päderastie – je jünger die Eroberung, um so größer der Kick und der Ego-Push.

Klingt clever. Wieso prostituierst du dich überhaupt? Warst du in Geldnot und hast keinen anderen Ausweg mehr gesehen?

Ich bin eh voll die Schlampe. Ich habe so viel rumgevögelt, dass ich mir irgendwann dachte, ich könnte genauso gut Geld dafür nehmen. Ich habe eine Weile ziemlich viel und heftig gefeiert und da waren die Kloficks im Club einfach nur eine ziemlich kurze Episode in Anbetracht eines gefühlt sehr langen Wochenendes. Ständig wollte mich irgendwer vögeln und so verfestigte sich in mir so ein Gedanke: Warum nicht Geld dafür nehmen, wenn ich es kann?

Ja gut, viel feiern und dabei aus Versehen viel rumvögeln, das ist eine Sache. Trotzdem ist es doch schon ein ziemlich großer Schritt das dann professionell zu machen, oder?

Genau da sehe ich eines unserer letzten sexuellen Tabus. Inzwischen ist es total okay, mit Hinz und Kunz in die Kiste zu steigen und promiskuitiv zu sein. Aber Geld dafür nehmen? Oh nein! Das geht nun wirklich nicht! Warum nicht? Für mich persönlich ist das sehr einfach und kommt ganz ohne Drama aus: Ich habe gern Sex, ich habe aber auch gern viel Geld. Ziemlich viele hätten gern Sex mit mir und ein Großteil dieser vielen würden sogar dafür bezahlen. Also warum soll ich dieses Geld nicht nehmen? Es ist ja nicht so, dass ich irgendeinen Abscheu oder Ekel überwinden müsste, oder mich irgendjemand dazu zwingt, Dinge zu tun, die mir zuwider sind. Ich suche mir meine Kunden selbst aus und somit sind es immer Leute, die mir sympathisch sind und bei denen ich mir generell auch einen Gratis-Freizeit-Fick vorstellen kann. Das kommt für mich nun mal eher in Frage, als einen zehn-Euro-Stundenlohn-Langweiler-Job zu machen.

Das hört sich ein bisschen zu gut an. Willst du damit sagen, dass es noch nicht einen einzigen keinen Kunden gab, der nicht doch irgendwie widerlich und abartig war?

Das will ich damit nicht sagen. Klar gab es das, aber dann hat man ja immer noch die Möglichkeit abzubrechen und das Vereinbarte auszuschlagen.

Details bitte!

Ich verabrede mich über das Internet und alles, was ich von meinen Kunden im Vorfeld sehe, ist ein Foto. Mir ist schon klar, dass die meisten eines wählen, auf dem sie sich gut getroffen finden. Wenn also jemand auf einem Bild richtig heiß aussieht, bleibe ich trotzdem erst mal skeptisch. Das muss nichts bedeuten. Teilweise habe ich mich auch schon gefragt, ob die Person, die ich da gerade treffe, die selbe wie auf dem Foto von vorhin ist.

Und dann sagst du: „Sorry, du bist in Wirklichkeit hässlicher als auf dem Foto, das wird nichts!“?

Nicht zwangsläufig. Manchmal ist die Person dann einfach auf andere Art attraktiv als auf dem Bild und es ist trotzdem okay für mich. Manchmal muss ich aber auch genau das sagen.

Auweia…

Das kommt nun mal vor.

Wieso brauchst du so viel Geld? Wäre nicht ein zehn-Euro-Stundenlohn-Job auch ausreichend für deine Bedürfnisse?

Es liegt alles nur daran, dass ich so verdammt faul bin. Ich habe keine Lust, mich stundenlang mit irgendwelchen Backshop-Abteilungsleitern im Supermarkt rumzuschlagen, die subtil aber permanent ihren Frust an mir auslassen, um auf ein gutes Gehalt zu kommen. Da sind mir zwanzig Minuten Aggro-Knattern für dasselbe Geld lieber. Mir bleibt bei den laufenden Kosten, die ich tilgen muss und dem Studium, das ich irgendwann mal zum Ende bringen möchte, gar nichts anderes übrig. Jedenfalls nach meiner Rechnung. Ich will nicht sagen, ich oder jemand anderes müsste das zwangsläufig tun, um zu überleben.

Hört sich einigermaßen schlüssig an. Aber lassen wir das „Warum?“ und fragen nach dem „Wie?“ Du sagtest zu Beginn, du wärst nun mal in deiner Rolle. Wer und wie ist deine Escort-Persönlichkeit?

Ich bin als Escort ziemlich jung. Gleichzeitig aber auch sehr selbstbewusst und dominant. Das kommt gerade bei den Älteren ziemlich gut an, die auf Grund ihrer Sozialisation ihre Homosexualität noch immer als etwas Verwerfliches empfinden und insgeheim dafür gedemütigt werden wollen. Ich mache mit ihnen Dinge,die in einer „normalen“ Beziehung erst nach vorheriger Beichte, oder nennen wir es Offenlegung und Besprechung skurriler Bedürfnisse, erfüllt werden. Man kann sagen, ich bin eine schwule und trotzdem sehr männliche Domina. Und so gemein wie zu meinen Kunden bin ich für gewöhnlich in meinem Privatleben nicht.

Du sagst, du hast viele ältere Kunden, die eher devot sind…

„Eher“ ist gut!

Du hast also viele ältere Kunden, die total devot sind – was hat das mit Schwulsein zu tun?

Ich will hier nichts verallgemeinern oder irgendwelche Klischees bedienen. Es ist nur meine persönliche Perspektive, von der ich hier berichten kann. Und das, was die Typen sich so von mir wünschen, kommt mir wie unverdautes Schwulsein vor. Sehr gängig ist zum Beispiel die inszenierte Vergewaltigung, bei der das „Opfer“ gern das Repertoire der schwulenfeindlichen Schimpfwörter zu hören bekommt und auf verächtliche Weise effeminiert werden möchte. Ich für mich schließe daraus, dass sie sich mit ihrer Homosexualität bisher wenig anfreunden konnten. Von weiblichen Kolleginnen höre ich hingegen sehr häufig, dass sich ältere Kerle größtenteils Girlfriendsex mit stundenlangem Knutschen wünschen. Auch das ist auf seine eigene Art eine ziemlich harte Nummer, wenn man es mal aus Dienstleistungsperspektive betrachtet.

Und du sagst, deine Kunden seien selbstbewusste, gestandene Persönlichkeiten?

Das hört sich widersprüchlich an, ich weiß. Ich habe mir das küchenpsychologisch so erklärt, wie vorhin erwähnt. Das sind keine armen und einsamen Loser. Diese Männer haben gute Jobs und sind sozial bestens vernetzt. Mit einigen habe ich sogar längere Zeit verbracht, wenn sie mich für eine Geschäftsreise nach Brüssel oder New York gebucht haben. Ganz normale Menschen mit einigermaßen abgefahrenen Fetischen halt.

Brüssel, New York, Hotelzimmer und Gebüsche – das hört sich glamourös an. Hast du dich schon mal in einen Kunden verliebt oder andersrum?

Nein, das ist mir noch nicht passiert. Von Seiten der Kunden gab es hier und da vereinzelte Schwärmereien. Das habe ich dann daran gemerkt, dass die Personen häufig hintereinander Treffen vereinbaren wollten. Aber das geht bei ihnen einerseits ziemlich schnell ins Geld und andererseits sprechen wir ja hier von Sex als Ware. Wenn der Kunde also unzufrieden ist – beispielsweise, weil wir kein Liebespaar werden – sucht er sich ein neues Objekt seiner Begierde. So einfach. Ich denke nicht, dass mir jemals jemand seine Liebe gestehen wird. Dafür bin ich viel professionell im Umgang mit meinen Kunden.

„Jemals“ ist ein gutes Stichwort. Wie lange wirst du diesen Job noch machen?

Bis ich mein Studium und das Referendariat hinter mich gebracht habe und endlich ein gut bezahlter Lehrer im Dienste des Staates bin.

Bildquelle: (1) Eduardo Santos unter CC BY 2.0

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