Die Black-Lives-Matter-Demo in München: Gemeinsam Schweigen ist nur der Anfang

 

Das bunte Meer an Menschen in schwarzer Bekleidung beugt sich auf die Knie. 8 Minuten und 46 Sekunden. Es herrscht absolute Stille. Selbst die knipsenden Pressefotografen verstummen nach wenigen Augenblicken. Stille. Einige Tropfen fallen vom Himmel und ein leichter Regen setzt ein. Stille. Mit hochgehaltenen Pappschildern und demütigem Blick wird ausgeharrt. Papierbanner knistern, Vögel zwitschern, ein Kind weint. Stille. Der Kieselboden und das Kopfsteinpflaster drücken auf die Knie. Das Leid, das ein weißer Polizist einem schwarzen Menschen angetan hat, ist kaum zu begreifen. 

25 000 Menschen strömen am 6. Juni 2020 gemeinsam auf den Münchner Königsplatz. Um zu schreien und um genau 8 Minuten und 46 Sekunden auf Knien auszuharren und zu schweigen. Die Zeitspanne, in der der schwarze US-Bürger George Floyd vor 2 Wochen seinen Todeskampf ausstehen musste, als der US-Polizist Derek Chauvin sein Knie auf sein Genick gedrückt hatte. 

Gänsehaut, glasige Augen und ganz viel Liebe

Es ist 14:30 Uhr. Junge Menschen in dunkler Kleidung, mit Schutzmasken und selbstgebastelten Schildern strömen von allen Seiten auf die U-Bahngleise am Hauptbahnhof. Eine Durchsage dröhnt durch die Lautsprecher des ankommenden Zuges. Die U2 wird nun nicht mehr am Königsplatz halten. Kurz macht sich Verwirrung in den Gesichtern einer Mädchengruppe breit. Dann folgen sie in schnellem Schritt der dunklen Traube Richtung Rolltreppe und Aufgänge.

Bloß keine Zeit verlieren. Die Stimmung ist voller Hoffnung, aber ernst.
Links und rechts ist gedämpftes Gemurmel durch die Masken zu hören, kleine Gruppen aus 2 bis maximal 4 Demonstrierenden tauschen sich rege über die Geschehnisse der vergangenen Tage und die bevorstehende Andacht aus. Eine Frau, die noch auf ihre Begleitung wartet, steht ungeduldig an der Straßenseite und spricht spanische Sätze in ihr Smartphone.

Es sind vor allem junge Menschen, die sich heute dazu entschieden haben, für die Würde und die Rechte schwarzer Menschen und gegen rassistische Polizeigewalt ihre Stimme und ihre Schilder zu erheben. „BLACK LIVES MATTER “, „WHITE SILENCE KILLS “, „JUSTICE SHOULD NOT BE A PRIVILEGE!”, stehen in großen Lettern auf ihren braunen Pappen, die sie in den Händen mit sich tragen. „Wir wollen heute zusammen mit unseren Freunden demonstrieren“, sagt ein Mädchen und ein Lächeln schimmert durch den Mundschutz.  

Weiter in dieselbe Richtung

Königsplatz, 10 Minuten später: Schon von weitem sind leichte Bässe und Stimmen aus Mikrofonen zu hören. Wie Regentropfen, die sich auf einem Lotusblatt sammeln, kommen immer mehr Menschen aus den anliegenden Straßen dazu und mischen sich unter die anderen Demonstrant*innen. Gemeinsam geht es weiter in dieselbe Richtung.

Und die Polizei? Bereits eine Kreuzung vor den großen Zugängen des Protestplatzes stehen an allen Ecken Polizeigroßeinsatzwägen. Und trotzdem wirkt ihre Präsenz zurückhaltend. So zurückhaltend, dass die spärlich besuchte „Corona-Demo“ auf dem anliegenden Karl-Stürzel-Platz ins Auge fällt. Umso eindrucksvoller sind die Massen, die von allen vier Kreuzungsstraßen anrücken und die letzten 100 Meter bis zu ihrem Ziel gehen. Auf ihren Bannern sind starke Messages und Bildern derer, die durch rassistische Polizeigewalt zu Tode gekommen sind. Auch Bilder von Kindern sind zu sehen.  

 

 

Silberblaue Polizeifahrzeuge und Polizist*innen mehren sich und rahmen die Luisenstraße von beiden Seiten ein. Die schwarzen Schutzuniformen der Polizist*innen verschmelzen mit den schwarz gekleideten Protestierenden, bis sie ihre Bedrohlichkeit fast gänzlich verlieren. Ein neongelber Streifenwagen fährt im Schritttempo die Straße entlang.

Es fühlt sich friedlich an und doch kann man den Kampfgeist spüren. Den unermüdlichen Kampfgeist der nächsten Generation, die für alle vergangenen Generationen und für alle, die danach kommen werden, heute aufgestanden ist. Und zum tausendsten Mal wollen sie an die seit tausenden Jahren existierenden Opfer von Rassismus erinnern. Sie haben Kraft gezogen aus Trauer und Wut über diese blanke Ungerechtigkeit. Sie wollen das weiße System wachrütteln.

 

 

Es wurden 200 erwartet, gekommen sind alle

Die Kundgebung beginnt mit der Aufforderung, Abstände einzuhalten, Mundschutz zu tragen und Desinfektionsmittel und Handschuhe, sofern vorhanden, zu benutzen. Alle sind bemüht, die Notwendigkeit eines solchen Protests nicht mit Regelverstößen zu gefährden.

Im vorderen Drittel und vor den weißen Säulen der staatlichen Antikensammlung, stehen die Menschen eng gedrängt beieinander. Ein paar rauchen, andere trinken Bier. Immer wieder kommt das Gefühl eines Festivalbesuchs auf. Es ist für viele das erste Mal seit vier Monaten, von so vielen Menschen umgeben zu sein.

Auf der anderen Seite stehen die Polizisten mit ihren Helmen in der Hand und betrachten, eng an die Absperrungszäune gelehnt, das Geschehen mit ruhiger Miene.

Tränen fließen

Der Auftakt der Veranstaltung ist hochemotional. Veranstalterin Chrissi ergreift das Wort. Sie dankt allen, die sich gegen rassistisches Gedankengut aussprechen. Sie gibt „Probs an alle linken Allies!“, die Seite an Seite mit der Black Community aufs Feld ziehen. „Ich hätte das hier nie für möglich gehalten.“ Die Ergriffenheit und das Zittern in ihrer Stimme wirken ansteckend. Tränen fließen. Egal wo man hinsieht, egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe. Die Luft schmeckt nach Mitgefühl und Trauer. 

Wertschätzung für all die Menschen, die hergekommen sind. Am Ende des Tages werden sich bis zu 25 000 Menschen am Königsplatz versammelt haben. Vor 100 Jahren diente der Königsplatz der NSDAP als Märtyrer-Gedenkstätte zu Tode gekommener Nationalsozialisten.

„Black Lives Matter“ ertönt es und in Sekundenschnelle stimmen alle mit ein in den ergreifenden Sprechchor. Eine schwarze Frau wendet immer wieder ihren Blick kurz ab, sie kann die Tränen kaum zurückhalten. Ernste Blicke suchen und finden einander.

 

 

 

 

 

8 Minuten 46 auf den Knien. Niemand spricht. Mit „I CAN’T BREATHE!” wird das Schweigen gebrochen. Die Demonstrierenden erheben sich und stimmen wieder zusammen mit ein: „I CAN’T BREATHE!”. Die Emotionalität hat ihren Zenit in diesem Moment erreicht. Doch die Menschen auf der Bühne finden genau jetzt die richtigen Worte: Vortragende, vom Botschafter und internationalem Topmodel Papis Loveday bis Rapper Roger Rekless. Songs, Gedichte, Rap und Reden, die sich in Gefühl und Bedeutungshaftigkeit übertreffen.

Bei jedem Vortrag wird die Erleichterung der Sprecher*innen hörbar, darüber dass sie endlich zu Wort kommen können. Dass sie endlich sagen können, was sie ihr Leben lang verletzt und gedemütigt hat. In einem sind sich alle einig: Sie wollen keinen zusätzlichen Hass, sie wollen nur endlich angehört werden. Und sie sind stolz und dankbar für jeden Menschen, der hier damit anfängt. Die Demonstrierenden hören zu, singen mit, weinen, schmeißen immer wieder ihre Fäuste in die Luft als Zeichen der Solidarität.

Viele No BPOC haben sich an den Rändern aufgestellt. und eine junge, blonde Frau sagt, dass sie den Platz frei mache, für die, die wirklich von Rassismus und polizeilicher Willkür betroffen sind. Sie stärke von außen. 

 

 

Um 16:30 Uhr endet die erste Hälfte des Demo-Programms. Der Kampf gegen Rassismus endet für die Menschen auf dem Königsplatz noch lange nicht.
Und nur ein paar Straßen weiter nimmt das Leben seinen Lauf. Weiße Menschen sitzen bei einem Kaffee an Zweiertischen und erzählen sich Anekdoten aus ihrer Woche.

 

 

 

 

 

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Fotos: Renan Marie Halaceli