Gespräche: Warum wir nur über Belangloses reden
Etwa 16 000 Wörter reden wir am Tag. Was wir damit alles machen könnten! Wir könnten über Ängste sprechen und Hoffnungen, wir könnten über den Ursprung des Universums philosophieren und darüber, ob Zeit wirklich alle Wunden heilt. Wir könnten die Beziehung zu uns und der Welt jeden Tag neu ausloten und in 16 000 mundgerechten Häppchen immer mehr über andere Menschen erfahren. Stattdessen sitzen wir abends an genau im richtigen Maße abgesplitterten Bierbänken, diskutieren über das perfekte Grillgemüse (Zucchini und Auberginen vor dem Grillen mit Olivenöl einpinseln!) und über die Vorlesung im Modul 2.4 der anwesenden Lehramtsstudenten.
Beschäftigst du dich mehr mit deiner Zukunft oder mit deiner Vergangenheit?
In Pleasantville, der Stadt einer fiktiven Fernsehserie aus den 50er Jahren, herrscht noch Ordnung. Abends kommt der Hausherr und Vater aus dem Büro nach Hause, flötet „Honey, I’m home!“ und setzt sich an den gedeckten Tisch. Dann tauschen er und seine Frau ein paar Belanglosigkeiten aus, die Kinder lächeln selig und trinken Milch aus großen Gläsern. Wenn die Feuerwehr ausrückt, dann nie, weil es brennt, sondern nur, um verirrte Katzen aus Bäumen zu retten. Jeden Tag scheint bei angenehmen 25°C die Sonne. Es passiert nie etwas Schlimmes, aber eben auch nie was wirklich Gutes. Die Welt ist schwarz-weiß.
Hört man sich das allsemesterliche Gejammer um Stress im Job, Prüfungsordnungen und klausurrelevante Inahlte an, hat man zwar eher das Gefühl, man lebe in Unpleasantville, aber das Prinzip ist das Gleiche: unsere Gespräche werden meist von Oberflächlichkeiten beherrscht.
Gefällst du dir besser, wenn du betrunken bist?
Natürlich hat Smalltalk seine Daseinsberechtigung. Wir würden uns wahrscheinlich in den emotionalen Herzinfarkt stürzen, wenn wir mit jedem halbvertrauten Gesicht sofort über grundsätzliche Lebensphilosophien debattieren würden. Oberflächliche Plauderei ist unkompliziert und lockert die Stimmung, bietet uns die Gelegenheit des zwanglosen Austausches. Aber vor allem ist Smalltalk Eines: einfach. Unangreifbar. Man kann dabei wenig falsch machen: Über Job und Studium können wir dreisprachig nörgeln, auf die Frage Wie heißt du? hat man, solange man sich noch nicht in Alkohol auswringen kann, verlässlich eine richtige Antwort parat und zum Wetter immer eine Meinung.
Aber aus diesen Gesprächen nimmt man meist auch absolut nichts mit. Natürlich interessiert man sich irgendwie für die andere Person, im Idealfall zumindest, aber viel zu oft erinnern solche Konversationen an einen knallharten Tauschhandel: Ich höre dir jetzt zehn Minuten zu, aber dafür darf ich danach dann auch zehn Minuten lamentieren. Das ist kein ehrlicher Austausch mehr, sondern nur noch ein Geschäft mit Zeit.
Was fehlt dir im Leben?
Wir sollten uns mehr Zeit nehmen für die echten Dinge; die, die unter dem Alltag und hinter dem Horizont liegen, sollten mehr Fragen stellen, die man auch durch intensivstes Facebook-Stalking nicht rausbekommen würde. Weil nicht die Grundschule oder das zuletzt besuchte Konzert unsere oder die Persönlichkeit unseres Gegenübers abbilden, sondern wie – oder ob – er sich selbst sieht und was er in seinem Leben vermisst. Wie er zum Leben nach dem Tod steht und was er an seiner Kindheit gerne ändern würde. Oft sind die besten ersten Dates doch die, bei denen man hinterher nicht einmal weiß, wie der andere mit Nachnamen heißt oder ob er seine Eltern mit Geschwistern teilt, aber trotzdem das Gefühl hat, ihn schon ewig zu kennen. Treffen, bei denen man über Bier und Rotwein plötzlich über den Sinn des Lebens fachsimpelt und nicht einfach die harten Fakten abklopft wie bei einem mittelklassigen Speeddate.
Kataloge wie die berühmten 36 Fragen, nach denen sich jeder verliebt, mögen vielleicht erzwungen wirken, aber manchmal braucht es einen Fixpunkt, von dem aus sich ein Gespräch in unendlich viele Richtungen entwickeln kann. Es heißt nicht unbedingt, dass man sich nach diesen Fragen wirklich ineinander verliebt, aber vermutlich kann man so einen Menschen in ein paar Stunden besser kennen lernen als so manch langjährigen Freund. Und dabei muss es auch nicht immer um die eigene Biographie gehen; Theorien entwickeln, Thesen zusammen aufstellen und wieder verwerfen – statt sich beim Abendessen nur um die neue Wandfarbe in der Küche zu drehen und darüber, wie laut der Kollege im Büro seinen Kaffee schlürft. Und statt einfach nur zuzuhören, um höflich zu sein oder nett, oder weil man das halt so macht oder um danach selbst mal reden zu dürfen, kommen richtige Diskussionen zustande – bei denen man sich nur verbal auszieht, aber vielleicht bedarf es dafür auch am meisten Mut. Das ist mein Märchen von Worten, die (sich) auszogen, den Menschen das Denken zu lernen.
Inspiration dafür findet ihr in den Zwischenüberschriften.
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Bildquelle: Franca Gimenez unter cc by-nd 2.0