Bonaparte: „Es ist Zeit für Herz-Scheiße.“

Von Rebecca Naunheimer

Womöglich ist Bonaparte aktuell die individuellste und verrückteste Band. Wilde Kostüme, opulente Bühnenshows, Glitzer und viel nackte Haut – so kennt man das internationale Künstlerkollektiv. Ich treffe Sänger Tobias Jundt vor dem Auftritt beim Münchener PULS-Festival, um mit ihm ein bisschen über Freiheit und das Anderssein zu schnacken. Als er hereinkommt, trägt Tobias kein Kostüm. Sondern Shirt und Hose. Er legt sich rücklings auf der Couch neben mir hin, faltet die Hände über dem Bauch und sagt: „Beginnen wir mit der Therapiesitzung!“ Wie es sich für eine ordentliche Therapiestunde gehört, hole ich erst einmal den Schnaps heraus. Keinen Pfeffi heute. Der war alle.

ZEITjUNG.de: In deinem Interview mit PULS hast du erwähnt, dass du zur Feier der über 500 Konzerte, die Bonaparte bereits gespielt hat, eigentlich einen Schnaps erwartet hättest…

Tobias Jundt: Lacht. Hast du jetzt Wodka mitgebracht?

Nein, Ouzo!

OUZO! Super, der kann was! Träufelst du ihn mir von oben in den Mund?

Ich hole die Shotgläser. Tobias lässt durchblicken, dass er die etwas zu klein findet.

Prost!

Macht ihr sowas auch mal vor einem Gig, oder wie heizt ihr euch an, um solche Shows hinzulegen?

Eigentlich muss man sich gar nicht anheizen. Die Frage ist eher, wie man wieder runterkommt. Nach einem Konzert gehen alle nach Hause, nur du bist so „HEY!“. Und dann gibt es auch nichts mehr zu essen in Pfaffenheimingen. Deshalb fallen Musiker spät abends immer so unangenehm auf.

Eure Bühnenshow ist also spontan?

Naja, heute spielen wir ja mit dem Münchener Rundfunkorchester. Die haben so ein Blatt vor sich und auf dem Blatt steht nicht „machen was ihr wollt“.

Bei euch dagegen darf jeder machen, was er will. Auch Dinge, die du selbst nicht so toll findest. Was sind das denn für Dinge?

Zum Beispiel ein Tänzer, der war jahrelang mit auf Tour. Und irgendwann war dann mal ein öffentliches Festival in Nürnberg, bei dem altersmäßig alle am Start waren. Auch die, die ein schwaches Herz haben oder noch nicht wissen, wie ein nackter Mann aussieht. Dort kam die Veranstalterin zu mir und meinte: „Das hat mir ja keiner gesagt, dass da nackte Männer auf der Bühne sind.“ Und ich so: „Was meinen sie denn?“ Lacht. Weil ich vorne stehe, habe ich tatsächlich lange nicht gemerkt, dass der sich auf der Bühne komplett nackt auszieht. Aber es ist gut, das zu tolerieren.

Und jetzt tretet ihr das erste Mal mit einem Orchester auf?

Ja, innerhalb von Bonaparte schon. Als kleiner Junge habe ich viele Orchester-Stücke geschrieben. Das mochte ich sehr.

Das passt auch gut zu eurem neuen Album. Darin wollt ihr euch ja noch mehr auf die Musik konzentrieren. Hattet ihr Angst, dass die Zuhörer hinter all der Bühnenshow, die Message verpassen?

Nein, keine Angst. Ich glaube, ein Mensch kann sich herausziehen, was er will bei Bonaparte. Aber, wenn du halt auf die 12 spielst, ist klar, dass alle an Moshpit denken. Ursprünglich habe ich Bonaparte ja auch deshalb begonnen, weil ich physisch Musik spielen wollte. Jetzt ist es Zeit, die Emotionen reinzulassen. Es ist Zeit für Herz-Scheiße.

Dafür ist es wohl immer irgendwann Zeit. Vielleicht interessiert es dich ja auch, was ich für mich so aus Bonaparte herausziehe…

Ja, unbedingt!

Ich finde, dass es irgendwie um Freiheit geht. Beim ersten Album „Too Much“ war das für mich hauptsächlich die Rebellion gegen das Elternhaus und die Gesellschaft…

Ja, es geht darum, was mache ich mit meinem Leben. Ich bin ich, du bist du. Ihr könnt zuschauen, aber es geht euch nichts an. Selbstbestimmung.

Jetzt habe ich das Gefühl, dass ihr euch viel mit Zwängen beschäftigt, die wir uns selbst aufhalsen. Wie zum Beispiel mit dem Streben nach Selbstdarstellung, was ich aus eurem Song „Me so selfie“ heraushöre. Ist da was dran?

Definitiv. Ich bin ja zum einen Spiegel der Gesellschaft und zum anderen schreibe ich über Dinge, die mich selbst bewegen und die ändern sich natürlich. Anfangs ist man als Musiker ganz allein und schreibt aus der Einsamkeit heraus. Irgendwann sind dann plötzlich total viele Leute da, die etwas von einem wollen. Die Freiheit, die man sich damit erspielt, ist daher auch ein Käfig.

Das trifft nicht nur auf Freiheiten beim Schreiben von Musik zu, sondern auch auf die heutige Jugend, oder? Die verschriene Generation Y, die so unbedingt frei sein will, individuell, selbsterfüllt und sexuell offen. Ist das nicht auch ein Käfig?

Generation Y, Z und danach kommt nichts mehr! Aber man will doch eher gleich sein, oder? Bei den meisten Menschen, mit denen ich zu tun habe, ist es so – um unseren Song „Like an Umlaut in English“ zu zitieren -, dass sie nie wirklich reingepasst haben. Und reinpassen, das ist der Zwang. Sehr interessant ist es, darüber mit unserem Tim zu sprechen. Er ist in New Jersey im Wald aufgewachsen, wo alle mit Pistolen schießen und total tough sind. Von ihm kann man lernen, sich tough zu geben, obwohl man es nicht ist. Wie man verschiedene Alkoholsorten faked, sodass es aussieht wie Alkohol, obwohl es eigentlich Cola mit Apfelsaft ist. Oder wie man so tut, als würde man Tabak kauen, obwohl es Lakritze ist.

Aber es ist doch auch paradox, weil junge Erwachsene heute ganz stark danach streben, anders zu sein…

Ja, anders sein wollen, das ist auch ein Zwang. Lustigerweise habe ich heute am Flughafen gesagt: Die, die und die gehen auf das PULS-Festival und sind Bands. Dann kamen die Gepäckkarren mit den Gitarren-Cases. Du siehst es Künstlern echt an, das ist total spannend. Lacht. Ach, wir sind doch alle Roboter!

Dabei hat ja gerade euer Wohnort Berlin den Ruf, dass man dort unbedingt frei, kreativ und individuell sein muss. Wie nehmt ihr das wahr?

Ich glaube, das ist sogar ein Grund, warum ich noch da bin. Denn, wenn man so eine Show macht wie ich, dann muss man auch jemanden anrufen können, der eine Kostümidee umsetzt. Etwas, das glitzert oder explodiert. In Berlin gibt es viele Leute, die so einen Quatsch bauen können. Wir können die jetzt „kreativ“ nennen, aber „kreativ“ ist immer so ein schwieriges Wort. Sagen wir: Leute, die machen. Wobei das jetzt ein bisschen anders ist. Das Spielfeld ist eher die Welt. Berlin ist heute eine tolle Stadt zum Leben.

Wo in Deutschland könntest du noch so leben und warum?

Schwer zu sagen. Eigentlich überall. Auf dem Lande würde ich mich mit allen alten Ladies richtig gut verstehen. Sie würden mir Kuchen backen und ich ihnen im Garten helfen. Aber die Jugendgruppen, die es da gibt, würden mir sicher auf die Nase geben. Auf jeden Fall gibt es diesen perfekten Ort nicht. Es gibt ihn in einer gewissen Zeit. So wie Berlin einmal.

Für Berlin spricht ja auch, dass man dort zu jeder Tages- und Nachtzeit etwas zu essen bekommen kann, oder?

Also Essen ist tatsächlich ein guter Punkt. Essen ist richtig wichtig für Musik. Das wird immer unterschätzt. Die letzte Platte wäre ohne Hot-Sauce und Chilli nie entstanden. Wir sind sogar während der Aufnahme-Sessions zu Hot-Sauce-Festivals gegangen, um neue Sorten zu kaufen.

Bei eurem letzten Interview mit ZEITjUNG.de hattest du ja auch gesagt, dass ihr nach den Auftritten häufig auf verzweifelte Essenssuche geht oder ein Buch lest. Hat sich da mittlerweile etwas verändert?

Lacht. Ich glaube, da habe ich zu 50 Prozent gelogen. Niemand liest ein Buch nach einem Auftritt. Aber ich lüge gerne mal in Interviews.

Was war heute alles gelogen?

Da möchte ich nur sagen, hör dir das Lied „Big Mistake“ von Tim Fite an. Da geht es ums Lügen. Lügen gibt es ja eigentlich gar nicht. Ist alles Ansichtssache. Jetzt nehmen wir noch einen Ouzo!

Wir kippen noch einen Ouzo. Und später sagt Tobias „Das Ouzo-Interview vergesse ich nie. Ich werde unseren Song ‚Like an Umlaut in English‘ umtaufen: ‚Like an Ouzo in Bayern‘.“