Studierende erzählen, wie sie mit dem Terror in Istanbul umgehen

Serenay, 25

studiert Schulpsychologie in München

 „Wie knapp wir einer traumatischen Erfahrung oder vielleicht auch unserem Tod entkommen sind, kann ich immer noch kaum fassen.“

„Für einen Kurztrip innerhalb der Türkei flog ich während meines Auslandstudiums in Istanbul an die ägäische Küste nach Ölüdeniz. Ölüdeniz bedeutet Totes Meer, welch Ironie! Vor meinem ersten Paragliding-Sprung dort hatte ich nämlich Todesangst. Genau hierfür gibt es die Angst im Grunde: Sie soll uns vor einem schnellen Tod bewahren. Wenn uns eine giftige Schlange beißen will, ist es beispielsweise von Vorteil, sich zu fürchten. Es löst eine schnelle Reaktion aus: Man entfernt sich schlagartig von der Schlange. Außerdem kommt es zu physiologischen Reaktionen: wir hören, riechen und fühlen mehr durch den Adrenalinaustoß, wir schwitzen und sind somit schwieriger zu fassen. Ich aber stand nun auf 1700 Meter Höhe und fürchtete, herunterzufallen ins Gebirge oder ins Wasser. Zack, Bumm, aus und tot. Angst kann eben auch diffus und unbegründet sein. Denn ich hatte gut recherchiert. Bei 78000 Paragliding-Sprüngen gab es 2013 nur drei Unfälle und keiner davon war tödlich. Wenn man aber Höhenangst hat oder Kontrollverslust meidet, ist Logik zweitrangig. In der Sozialpsychologie nennt man diese – im Anbetracht von Fakten und Zahlen – grundlose Angst „Verfügbarkeitsheuristik“. Wir schätzen etwa das Risiko, Opfer eines Flugzeugunfalls oder Terroranschlags zu werden, höher ein, da über derartige Ereignisse viel berichtet wird und es dadurch für uns schnell abrufbar, also verfügbar, ist. Ziel des modernen Terrorismus ist es, diffuse Angst zu verbreiten. Um meine diffuse Angst zu überwinden, wagte ich den Tandem-Sprung und es fühlte sich gut an, ich fühlte mich frei. Angst hat eben auch sehr viel mit Freiheit zu tun. Terror leider auch.

Am selben Tag flog ich zurück nach Istanbul. Am Flughafen traf ich einen Freund. Etwa eine halbe Stunde nach dem Verlassen des Flughafens, hörten wir von dem Terroranschlag in der Ankunftshalle des Flughafens. Dort, wo wir vor uns getroffen hatten und wahrscheinlich nur ein paar Minuten vor dem Anschlag in die Metro gestiegen waren. Das nennt man wohl Glück im Unglück. Man kann es Schicksal oder Zufall nennen. Wie knapp wir einer traumatischen Erfahrung oder vielleicht auch unserem Tod entkommen sind, kann ich immer noch kaum fassen. Wir brauchten einige Tage, um das zu realisieren, stellten dabei aber auch fest, dass wir trotz unseres Glückes, noch immer die Regel waren. So wie tausende Menschen, die am selben Tag oder ein paar Tage früher am Flughafen waren. Nicht die Ausnahme. Das waren nämlich diejenigen Menschen, die trotz des Menschenverkehrs am Flughafen, genau zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren.
Jetzt im Nachhinein fühle ich mich weniger ängstlich, denn ich weiß nun, dass wir unsere innere Freiheit, nicht wegen diffuser Ängste aufgeben dürfen. Eine Woche später hatte ich meinen Rückflug nach Deutschland gebucht. Wieder am Atatürk Flughafen. Ich wäre gerne noch länger in Istanbul geblieben, meine Zeit dort zu verbringen war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Am Flughafen traf ich zufällig eine Freundin, die einen Zwischenhalt in Istanbul gemacht hatte und mir dann erzählte, sie hätte schon ein wenig Angst wegen dem kurzen Aufenthalt am Flughafen bekommen. Wie schade, dachte ich mir. Die Gelassenheit, die Lebendigkeit, die Schönheit und auch die Realität dieser Stadt haben mich nachhaltig berührt. Meine Bewunderung galt vor allem mutigen Frauen und Männern, die für ihre Rechte demonstrierten und bereit für offene Diskussionen waren. Obwohl es Momente gab, in denen ich kurz daran dachte, dass möglicherweise eine Bombe neben mir im Bus detoniert sein könnte, half mir die Gelassenheit der Istanbuler sehr dabei, diese Gedanken auszublenden, realistisch zu bleiben und auf mein Schicksal zu trauen. Gedanken dieser Art muss man in Deutschland nicht haben und hoffentlich bleibt das auch so. Doch falls es auch hier zu Lande mal so weit kommen sollte, weiß ich nun, wie ich damit umgehen kann. Und wenn man zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort ist, dann kann das leider überall der Fall sein. Auch in meiner direkten Nachbarschaft in München.“